Ein Postauto zwängt sich durch die engen Strassen von Roveredo.
Es wird eng: Ein Postauto im Dorf Roveredo im Misox, Graubünden.Fabian Biasio/Keystone

Weder staatlicher Fisch noch Vogel AG

Die Probleme der Postauto AG zeigen: Bezahlt der Staat am Ende sowieso, bringen pseudoprivatwirtschaftliche Anreize oft nichts ausser Ärger und Bürokratie.

Von Olivia Kühni, 17.04.2018

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Wahrscheinlich haben Sie es mitbekommen, liebe Verlegerin, lieber Verleger: Es ächzt und rumort seit einiger Zeit bei sogenannten staatsnahen Betrieben.

Am auffallendsten ist das beim Postauto und beim Berner Energieunternehmen BKW. Bei der Postauto Schweiz AG haben die Buchhalter Gewinne vom Regionalverkehr in einen anderen Geschäftszweig verbucht, weil man sonst weniger Subventionen bekommen hätte – wie genau das geschehen ist und ob es illegal war, wird noch abgeklärt.

In Bern wiederum kritisieren Unternehmerinnen seit Jahren, dass staatlich gestützte Unternehmen wie etwa die BKW Energie AG privaten Betrieben die Luft abdrehen. Deshalb, weil sie bei Aufträgen derart viel bessere Preise bieten, dass kein Kleiner mehr eine Chance hat. Seit 2014 fährt die BKW eine Expansionsstrategie und hat laut «Berner Zeitung» inzwischen 65 Firmen aufgekauft. Vor einem guten Jahr haben sich die KMU sogar zu der Kampagne «Fair ist anders» zusammengetan, um auf die nach ihrem Empfinden unmögliche Situation aufmerksam zu machen.

Das sind nur die zwei jüngsten Beispiele. Ein weiteres wäre die Swisscom. Sie bringt im staatlichen Auftrag Internetanschlüsse in alle Haushalte – und kann seit 2017 über ebendiese Anschlüsse erhobene Kundendaten an Partner verkaufen. Unter anderem an das Werbeunternehmen Admeira, das wiederum der Swisscom selber gehört, gemeinsam mit SRG und Ringier. Verschiedene staatsnahe Unternehmen machten ausserdem in den letzten Jahren mit fragwürdigen Auslandinvestitionen Schlagzeilen – prominent etwa auch Postauto mit der Beteiligung an Car Postal France.

Was denn nun: Gewinn oder nicht?

Wie immer, wenn jemand mutmasslich übermässig profitiert, ist die Empörung gross; einen «Skandal» nennen die Zeitungen den Vorfall bei der Postauto AG. Dabei ist er – befasst man sich mit wirklichen ökonomischen Erkenntnissen statt nur mit religiösen Überzeugungen im Stil von «Subventionen sind gut» oder «Subventionen sind böse» – vor allem eines: ziemlich logisch. Menschen verhalten sich nun mal, wie man ihnen die Brücken baut. Oder die Anreize setzt, wie Ökonominnen sagen würden. Und da läuft in der Schweiz seit Jahren einiges schief.

Im Fall der Postauto AG, die zur Schweizerischen Post gehört, lautet der Auftrag an die Chefs dort ungefähr wie folgt: Ihr dürft mit dem Busverkehr in all den Bergtälern und Landdörfern keinen Gewinn schreiben, sonst gibt es keine Subventionen mehr. Ihr müsst aber in potenziellen anderen Geschäftsbereichen unbedingt Gewinn vorweisen, denn ihr seid Teil eines grösseren Ganzen. Ihr fragt, wie dieser Gewinn gemacht werden soll? Ein Postauto sei nun mal ein Postauto und tue, was es nun mal tue: nämlich eben subventioniert durch die Landschaft fahren. Nun: Willkommen im 21. Jahrhundert. Lasst euch etwas einfallen!

Das tat man bei der Postauto AG dann auch. Man liess sich etwas einfallen, wie man gleichzeitig Gewinn schreiben und trotzdem weiter Subventionen kassieren konnte.

Der inzwischen abgetretene Postauto-Chef verstand sein Dilemma offenbar genau. Er habe den «Zielkonflikt» zwischen dem staatlichen Grundauftrag mit Gewinnverbot und den Profitvorgaben vom Mutterhaus schon seit längerer Zeit kritisiert, schrieb der «Blick» mit Verweis auf interne Memos. Eine solche Meldung ist natürlich im Interesse ebendieses abgetretenen Postauto-Chefs und wird wie immer bei solchen Geschichten nur ein Teil der Wahrheit sein. Wirklich bezeichnend ist jedoch die im Bericht zitierte Stellungnahme der Post. Man müsse klar differenzieren, sagt da die Sprecherin: «Zielkonflikte und illegales Handeln sind zweierlei.»

Das stimmt natürlich. Und auch wieder ganz und gar nicht: denn es sind eben exakt solche Zielkonflikte, die üblicherweise zu Missetaten führen.

Die sogenannte Human-Factors-Forschung, die sich mit menschlichem Versagen in Organisationen befasst – etwa bei Flugzeugabstürzen, Sicherheitsmängeln oder eben Betrugsfällen – ist sich da sehr einig. In den allermeisten Fällen stehen am Anfang von Katastrophen grundsätzliche Fehlanreize im System: übermässiger Profitdruck, eine Kultur, die Fehlermeldungen bestraft statt fördert, oder eben sich widersprechende Zielvorgaben. Nicht immer kommt es dabei zu kriminellen Taten, fast garantiert aber zu Tricksereien, frustrierten Mitarbeitenden und gravierenden Fehlentscheiden. Und fast in jedem Fall haben zumindest einzelne Mitarbeitende jahrelang vergeblich gewarnt, bevor schliesslich etwas passiert ist.

Wie genau sich die Geschichte bei Postauto abspielte, ist noch offen. Doch die Ärgernisse bei verschiedenen staatsnahen Betrieben sind sich zu ähnlich, als dass sie einfach individuell betrachtet werden könnten: Die Schweiz hat hier ein strukturelles Problem. Und es hat viel mit der in den 1990ern um sich greifenden Vorstellung zu tun, staatliche Organisationen würden automatisch «innovativ» und «effizient», wenn man sie nur etwas «privatisiert» und «dem Wettbewerb aussetzt».

Von oben verordnete Innovation

Viele Ökonomen weisen seit Jahren darauf hin, dass die Gleichung so einfach nicht zu machen ist. Wettbewerb kann entstehen, wo es tatsächlich einen Markt gibt. Wo also Anbieterinnen eine lukrative Gelegenheit sehen, Geld zu verdienen – und darum Innovationen vorantreiben, Produkte entwickeln, manchmal gar alles bisher Dagewesene in einem Feldzug überflüssig machen. «Schöpferische Zerstörung» nannte das Joseph Schumpeter. Das belebt die Wirtschaft – nicht zwingend und sofort zum Guten, langfristig aber immer wieder schon. Wenn ein Markt – vor allem ein neuer, noch aufregender Markt – und Wettbewerb zusammenkommen, kann Grosses entstehen.

Doch die Sache ist: Umgekehrt wird kein Schuh draus. Innovation lässt sich nicht herbeizaubern, indem man künstlich und von oben herab verordnet einen Wettbewerb inszeniert.

Überspitzt formuliert: Wenn der Busverkehr bis ins hinterste Bergtal nun mal kein spannender und begehrter Markt ist, so wird er das nicht plötzlich, weil man aus der Postauto Schweiz eine Postauto AG macht und sie aufmuntert, Gewinne einzufahren. Die guten alten Bernischen Kraftwerke, deren Hauptaufgabe stets die solide Strom-Grundversorgung war, überholen nicht plötzlich die kalifornischen Nest oder Tesla an Cleverness in der dezentralen Stromproduktion, wenn sie mit dem staatlich abgesicherten Grundauftrag und entsprechender Marktmacht im Rücken zusätzlich ihr Dienstleistungsgeschäft ausbauen. So einfach läuft das leider nicht. «Mach Gewinn!» ist leider keine Zauberformel zur Weltneuschaffung.

Was aber in diesen und anderen Fällen garantiert auftritt, sind Nebenwirkungen. Die Postauto wird sich eben etwas einfallen lassen, um den gewünschten Gewinnbeitrag aufzutreiben, und die BKW wird eben kleine Gebäudetechnikfirmen aus dem Feld schlagen oder aufkaufen, um ein profitabler Dienstleister zu werden – beispielsweise das Ingenieursunternehmen von BDP-Nationalrat Hans Grunder.

Künstlich geschaffener Wettbewerb wirkt also durchaus: Menschen passen ihr Verhalten an. Nur halt leider nicht auf die Art, wie sich das die visionären Wirtschaftsplaner in fast schon magischem Denken erhoffen. Wer eine staatlich rückversicherte Profitpflicht einführt, bekommt als Ergebnis nicht automatisch agile, zukunftsorientierte Firmen. Sondern erst mal das, was er installierte: staatlich rückversicherte Profitversuche.

Dauerrankings im Staatswesen

Besonders anschaulich zeigt der Ökonom Mathias Binswanger die Auswirkungen von künstlich verordnetem Sportsgeist in seinem Buch «Sinnlose Wettbewerbe». Darin schildert er das verbreitete Missverstehen grundlegender ökonomischer Konzepte und die Schwierigkeiten, die der inszenierte künstliche Wettbewerb heute Mitarbeitenden in Sektoren wie Bildung, Wissenschaft oder Gesundheitswesen beschert.

Auf Probleme wie jene bei Postauto angesprochen, sagt Binswanger, die Profitverpflichtung sorge für «viele Fehlanreize», da man die öffentlichen Anbieter dazu zwinge, sich wie Private zu verhalten. «Das führt vor allem dazu, dass sie staatliche Gelder dazu verwenden, privaten Anbietern oder anderen staatlichen Anbietern Marktanteile abzujagen.» (Oder eben, im Falle der Postauto, die eigene Buchhaltung zu massieren.) Wo es keinen funktionierenden Markt gebe, sei Wettbewerb immer problematisch.

Diese Entwicklung ist übrigens nicht alleine die Schuld sogenannter Neoliberaler. Radikal staatskritische Ökonomen wie Milton Friedman lieferten seit den 1970ern zwar die theoretischen Grundlagen für vulgärökonomische Stammtischreden im Sinne von «Markt heilt alles», und die oberflächlicheren unter den Jungmanagern und Politikerinnen beten das Mantra bis heute fleissig nach. Doch waren es in Europa oft gerade sozialdemokratische Politiker wie Tony Blair oder Gerhard Schröder – assistiert von einer aufblühenden Beraterbranche –, die angeblich «marktwirtschaftliches Denken» in der Form von inszeniertem Wettbewerb und Dauerrankings in das Staatswesen trugen.

Sie taten dies, erstens, weil Reformen und ein neues Denken in den starr von Juristen geprägten Organisationen tatsächlich nötig waren. Zweitens, weil man damit Forderungen nach kompletter Privatisierung zuvorkommen wollte, wie Peter Hablützel, einer der Vorkämpfer des «New Public Management» in der Schweiz, heute sagt. Und man will als aufstrebender, moderner Jungpolitiker schliesslich zeigen, dass man auch «Business» kann. Gerade wenn man nie eines von innen erlebt hat.

Jedenfalls: Mit «Neoliberalismus» haben komplexe staatlich-private Zwitterwesen oder ausgiebig verzertifizierte Staatsorganisationen herzlich wenig zu tun. Dafür viel mit einem feigen Kompromiss, der vielen Menschen Ärger bereitet. Dies insbesondere den Managerinnen und Mitarbeitern, die sich mit den genannten Zielkonflikten, allerlei Kennzahlen und regelmässigen Evaluationen herumzuschlagen haben – und allzu oft auch noch mit Motivationsreden, die das tägliche Ringen mit poppiger PR-Sprache übergiessen.

Weil das Problem die Feigheit ist, liegt der Ausweg denn auch nicht in noch mehr Grundsatzdebatten über «den Markt» oder «den Staat» an und für sich. Sondern in politischem Mut.

Ja, das finanzieren wir

Zuallererst dem Mut zu sagen, was Sache ist. Ein flächendeckender Busverkehr bis in die hintersten Bergtäler und kleinsten Landdörfer ist kein lukratives Geschäft für eine Unternehmerin. Ein engmaschiges Postautonetz wird sich niemals auszahlen – auch dann nicht (oder vielmehr: dann erst recht nicht), wenn Dutzende privatwirtschaftliche Busunternehmen um Kunden buhlen würden. Alltägliche und kleinteilige Postautofahrten sind kein funktionierender Markt. Punkt.

Es gibt aber in der Schweiz einen immer wieder bestätigten politischen Konsens, dass man diesen Nahverkehr will, und dass man ihn öffentlich finanzieren will. Also soll man auch dazu stehen – und das Postauto (ob AG oder nicht) mit Budget, einem klaren Leistungsauftrag und professionellen Strukturen ausgestattet seine Runden drehen lassen. Oder es eben sein lassen.

Es ist keine Haltung, keine Lösung und auch kein Geschäft, zu allem «Ja» zu sagen, dann jedoch plötzlich doch «aber». Auch wenn man das Ganze hübsch kompliziert verpackt. Und mit einer eidg. dipl. und regelmässig inspizierten, zertifizierten und politisch sezierten Vogelfisch AG den Mitarbeiterinnen, Managern, Mitbewerbern und Bürgerinnen das Leben schwer macht. Der Alibi-Wettbewerb bringt niemandem etwas – ausser Heerscharen von Beraterinnen und Bürokraten.

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