Briefing aus Bern

Harte Ausländerpolitik des Bundes – und die Armut steigt

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (7).

Von Elia Blülle, 12.04.2018

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Liebe Leserinnen und Leser

Der Bund hat letzte Woche 3200 vorläufig aufgenommenen Eritreern geschrieben und ihnen mitgeteilt, dass ihr Status überprüft werde – trotz Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen in ihrem Herkunftsland. Was hat das zu bedeuten?

Eritrea ist eine Diktatur. Der UN-Länderbericht spricht von Folter und willkürlichen Hinrichtungen. Besonders gefürchtet ist der sogenannte Nationaldienst, der junge Männer und Frauen zu unbefristeter Arbeit zwingt. Wer sich weigert, wird hart bestraft. Um dem Zwangsdienst zu entgehen, fliehen viele nach Europa.

Die Schweiz ist ein beliebtes Ziel. Sie hat 9400 Eritreer vorläufig aufgenommen. Einige von ihnen bangen nun um ihren Verbleib. Letzten August hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden: Vorläufig aufgenommene Eritreerinnen dürfen zurückgeschafft werden, sofern bei ihrer Rückkehr keine Bestrafung oder die erneute Einberufung in den Nationaldienst droht. Deshalb überprüft nun das Staatssekretariat für Migration den Aufenthaltsstatus von rund 3200 Eritreern. Das heisst, der Bund will sie loswerden, und zwar so bald wie möglich.

Dieser Entscheid ist umstritten, denn der Bund geht mit seiner neuen Gangart deutlich weiter als andere europäische Länder. Das kritisiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International: Die Menschenrechtslage sei nicht besser geworden – im Gegenteil. Es sei in den letzten Monaten erneut zu Massenverhaftungen gekommen. Zudem treibe die mögliche Aufhebung des Aufenthaltsstatus die Eritreerinnen in die Illegalität und Nothilfe.

Damit verweist die Organisation auf das fehlende Rücknahmeabkommen zwischen Eritrea und der Schweiz. Weigert sich eine asylsuchende Eritreerin, trotz Wegweisung das Land zu verlassen, können sie die Behörden nicht zwingen. Sie darf zwar in der Schweiz bleiben, erhält aber keine Aufenthaltsbewilligung. In der Illegalität hat sie nur noch Anspruch auf Nothilfe, die ihr das Existenzminimum garantiert. Arbeit ist verboten. Es droht ein Leben in der Schweiz ohne Zukunft.

3200 Eritreer warten jetzt auf den nächsten Brief vom Staatssekretariat für Migration. Klar ist: Entscheidet sich der Bund definitiv zur Wegweisung, werden die wenigsten das Land verlassen. Ein Rücknahmeabkommen ist in weiter Ferne. Letztes Jahr kehrten nur 29 Eritreer freiwillig zurück. Es gibt kaum Perspektiven für junge Menschen in Eritrea. An der Rückkehrquote wird wohl auch der Entzug von Aufenthaltsbewilligungen nichts ändern.

Wie also ist der Entscheid des Bundes zu werten? Einerseits ist er die offensichtliche Folge der neuen Rechtsprechung, andererseits kann man das Vorgehen auch als schnelle Reaktion auf die jüngsten Ansprüche aus dem Parlament lesen. In der Frühlingssession forderte es, dass der Bund endlich die diplomatischen Beziehungen mit Eritrea intensivieren soll. Das finale Ziel ist ein Rücknahmeabkommen mit Eritrea. Simonetta Sommaruga wird mit dem restriktiven Vorgehen gegen die Eritreerinnen den innenpolitischen Druck auf ihr Departement etwas lindern. Dass aber mögliche Wegweisungen tatsächlich den erhofften Effekt herbeiführen und künftig mehr Eritreer die Schweiz verlassen, ist zu bezweifeln.

PS: Sie wollen mehr zu Eritrea wissen? Dieser Rundschau-Beitrag von Sarah Weber dokumentiert das Leben junger Eritreer in der afrikanischen Diktatur, und dieser Arte-Film von Jonas Dunkel zeigt, wie es ihnen in der Schweiz ergeht. Beide Beiträge sind empfehlenswert.

Und wir bleiben gleich bei der Asylpolitik des Bundes. Jetzt geht es um den eritreischen Nachbarstaat Äthiopien. Hier kommt das Briefing aus Bern.

Schweiz kann Äthiopierinnen abschieben

Das müssen Sie wissen: Die Schweiz und Äthiopien haben sich im März darauf geeinigt, dass die Vereinbarung für die Rückübernahme äthiopischer Bürgerinnen ohne Aufenthaltsrecht auch für die Schweiz gelte.

So ist der Bund vorgegangen: Der «Tages-Anzeiger» berichtete letzte Woche, dass sich die Schweiz an einem EU-Abkommen mit Äthiopien beteilige. Damit soll «die freiwillige und die unfreiwillige Rückkehr» von «äthiopischen Staatsangehörigen, die sich illegal in Europa aufhalten» geregelt werden. Die Übereinkunft zwischen der EU und Äthiopien ist im letzten Dezember zustande gekommen, nachdem Europa mit der Streichung von Hilfsgeldern gedroht hatte.

Das wird kritsiert: Die Zusammenarbeit erfordert, dass die Schweiz zu Abklärungszwecken dem äthiopischen Geheimdienst heikle Daten zur Verfügung stellt, wie Geburtsurkunden und Führerscheine. Diverse Menschenrechtsorganisationen kritisieren deshalb den EU-Deal: Die enge Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst eines repressiven Staates sei problematisch und erlaube ihm eine weitgehende Überwachung seiner Bürgerinnen.

SP unterstützt Referendum doch noch

Das müssen Sie wissen: Letze Woche lancierte ein kleines Bürgerkomitee das Referendum gegen den neuen Observationsartikel. Obwohl sich die SP im Parlament gegen das Gesetz wehrte, verweigerte sie anfänglich dem Komitee die Unterstützung. Das Anliegen sei ohne Erfolgschancen und würde eine populistische Missbrauchsdebatte auslösen, meinte die Parteispitze. Nun haben sich die Sozialdemokraten am Wochenende umentschieden: Sie tragen das Referendum mit.

Das ist der Grund: Nach der Verweigerungshaltung der Parteispitze kritisierten diverse Kantonalsektionen und Parlamentarierinnen das Vorgehen der Partei. Sie würden sich auch ohne deren Zustimmung für das Referendum engagieren. Diese Kritik führte letztlich zum Meinungsumschwung.

Das passiert als Nächstes: Viel Stress. Die Initiantinnen müssen bis Anfang Juli 50’000 Unterschriften sammeln und beglaubigen lassen. Gut möglich, dass sie das nun mit der Unterstützung und Erfahrung der SP schaffen.

Zahlen der Woche: Bevölkerungswachstum und Armut

In dieser Rubrik stellen wir Ihnen die neusten und wichtigsten Zahlen aus dem Bundesamt für Statistik (BFS) kurz vor. Wir empfehlen für die detaillierten Erläuterungen der Zahlen jeweils einen Besuch der BFS-Website.

Bevölkerung: Wie viele Einwohner hat die Schweiz? Hier das Update: Ende 2017 lebten rund 8,5 Millionen Menschen im Land. Das sind fast 1 Prozent mehr als 2016 – also 63’000 Personen. Tönt nach viel? Ist es nicht. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist die Bevölkerung weniger stark gewachsen. Grund dafür ist eine tiefere Zuwanderung und der gesunkene Geburtenüberschuss (Differenz von Geburten und Todesfällen).

Armut: 2016 galten 7,5 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung, rund 615’000 Personen, als arm – 0,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Armutsgrenze liegt durchschnittlich bei 2247 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3981 Franken pro Monat für einen Familienhaushalt. Die meisten sind nur von einer periodischen Einkommensarmut betroffen und liegen spätestens nach einem Jahr wieder über der Armutsgrenze. Dauerhaft arm ist rund 1 Prozent der Bevölkerung – im europäischen Vergleich ein sehr tiefer Anteil.

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