Briefing aus Bern

Freiheiten für Kantone, Sparen bei den Alten

Das Wichtigste in Kürze aus dem Bundeshaus (4).

Von Elia Blülle, 22.03.2018

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Die Frühlingssession ist zu Ende.

Es war viel los. Im Ständerat war die Gleichstellung der Geschlechter das bestimmende Thema: Er hat sich für die angemessene Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden eingesetzt, gleichzeitig aber unter dem Aufschrei der Feministinnen ein Gesetz zur Lohngleichheit versenkt.

In der grossen Kammer standen die Sozialwerke im Fokus: Den Ergänzungsleistungen droht nach der Frühlingssession ein harter Sparkurs, und Sozialversicherungen dürfen ihre Detektive neu mit Peilsendern und Drohnen losschicken.

Übrigens: Am letzten Sessionstag beschloss der Nationalrat, dass er bis 2020 den Betrieb digitalisieren will. Ein ambitioniertes Vorhaben: Von 246 Parlamentariern arbeiten heute erst 6 papierlos. Die Bundesversammlung verbraucht jährlich 10 Millionen Blatt Papier. Das sind etwa so viele Bäume, wie es bräuchte, um die Fläche des Bundesplatzes zu bepflanzen. Nun sollen die Politikerinnen in den nächsten Jahren mit Tablets ausgestattet werden und die Ratsunterlagen digital erhalten. Der Papierverschleiss sei nicht mehr zeitgemäss. Finden wir auch. Hier kommt das fünfte papierlose Briefing aus Bern.

EL-Reform verkommt im Nationalrat zur Sparvorlage

Das müssen Sie wissen: Deckt die Invaliden- oder Rentenversicherung die minimalen Lebenskosten nicht, hat man Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL). In der Schweiz beziehen mehr als 300'000 Personen diese kantonalen Unterstützungsgelder.

Die steigende Lebenserwartung und der demografische Wandel vergrössern die Ausgaben laufend: In den letzten zehn Jahren haben sie sich mehr als verdoppelt. 2016 kosteten die Ergänzungsleistungen 4,9 Milliarden Franken. Der Bundesrat will nun die Ausgaben senken und hat eine entsprechende Reform ausgearbeitet.

Das will die Reform: Der Bund hat Einsparungen von 300 Millionen Franken geplant. Diese greifen laut Nationalrat aber zu kurz. Er hat die Vorlage am Donnerstag noch einmal massiv verschärft: Betagte und Beeinträchtigte haben ab einem Vermögen von 100'000 Franken keinen Anspruch mehr auf Ergänzungsleistungen, die Kinderpauschale wird gekürzt, und die Mietunterstützung wird trotz steigender Mietzinse kaum angepasst. Die Ausgaben würden durch diese und weitere beschlossene Massnahmen gemäss Alain Berset um 740 Millionen Franken sinken – mehr als doppelt so viel, als ursprünglich vorgesehen war.

Das spricht dagegen: Im Nationalrat umstritten war insbesondere die Anpassung der Mietzuschüsse. Seit 2001 wurden sie nicht mehr erhöht, obwohl die Wohnungsmieten im gleichen Zeitraum um 20 Prozent gestiegen sind. Die Folge: Jedem dritten Rentnerhaushalt mit Ergänzungsleistungen fehlt das Geld für die Miete. Gleichwohl hob die knappe bürgerliche Mehrheit im Nationalrat die Zuschüsse nur geringfügig an. Die grosse Kammer beschloss äusserst knapp, dass Alleinstehende in Städten künftig hundert und Ehepaare zweihundert Franken mehr erhalten sollten. Auf dem Land gibt es keinen Zuschlag. Das sei zu wenig, kritisieren diverse Rentnerorganisationen. Als Nächstes geht die Vorlage zurück in den Ständerat.


Ständerat gibt den Kantonen mehr Wahlfreiheit

Das müssen Sie wissen: Das Bundesgericht hat die Kantone verärgert. Es hielt in mehreren Urteilen fest, dass keine Wahlkreise zulässig sind, in denen es für ein Mandat mehr als 10 Prozent der Stimmen braucht. Die Kritik des Gerichts: Durch sehr kleine Wahlkreise werden grosse Parteien bevorzugt und kleine Parteien benachteiligt. Das führt dazu, dass in einigen Wahlkreisen Proporzwahlen zu faktischen Majorzwahlen werden und ein beträchtlicher Teil der Bürgerinnen sich in den Kantonsparlamenten nicht vertreten sieht. In der Folge mussten einige Kantone ihr Wahlsystem anpassen. Das stört die Kantone Zug und Uri. Ihre Standesinitiative verlangt nun wieder mehr Autonomie bei der Ausgestaltung der kantonalen Wahlsysteme.

Das sagt der Ständerat: Angenommen. Mit 26 zu 15 Stimmen hiess er die Vorlage gut. Die Mehrheit fand, dass man die regionalen Besonderheiten berücksichtigen und deshalb den Kantonen die freie Wahl ihres Verfahrens ermöglichen sollte. Die Minderheit hielt dagegen und meinte, dass die Initiative gegen das Diskriminierungsverbot und die freie Meinungsäusserung der Stimmbürger verstosse.

So geht es weiter: Als Nächstes wird das Geschäft im Nationalrat behandelt. In der kleinen Kammer stimmte ein Bündnis der Mitteparteien für dieses Geschäft. Das ist nicht verwunderlich, denn sie profitieren von kleinen Wahlkreisen. Das Verhältnis sieht im Nationalrat aber anders aus. Gut möglich, dass es zu einer unheiligen Allianz zwischen der SVP und der SP kommen wird. Sie haben genügend Sitze, um die Vorlage gemeinsam zu versenken.


Drei Wochen Session, elf Beschlüsse

Das wurde entschieden: In den Schlussabstimmungen am Freitag hat die Bundesversammlung elf Vorlagen verabschiedet. Die wichtigsten Beschlüsse in der Übersicht:

  • Wird kein Referendum angemeldet, werden die neuen gesetzlichen Grundlagen zur Observation von Versicherten definitiv im Gesetz verankert. Sozialdetektive dürfen künftig potenzielle Betrügerinnen mit Bild, Ton und Peilsendern überwachen.

  • Die Pädophileninitiative ist umgesetzt. 2014 akzeptierten die Stimmbürger das Begehren, welches verurteilten Sexualstraftätern automatisch jegliche berufliche Tätigkeit mit Minderjährigen verbietet. In der Frühlingssession wurden nun die letzten Differenzen bereinigt, und das Parlament hat die umstrittene Härtefallklausel implementiert. Sie gibt dem Gericht in besonders leichten Straffällen einen Ermessensspielraum.

  • Die Bundesversammlung lehnt die Fair-Food-Initiative und die Volksinitiative für Ernährungssouveränität ab. Der zurückgezogenen Veloinitiative stellt sie einen Gegenentwurf entgegen.

Sie wollen mehr wissen: Auf der Website des Parlamentes finden Sie alle Resultate und Unterlagen zu den Schlussabstimmungen der Frühlingssession.

So geht es weiter: Die Parlamentarierinnen ziehen sich bis am 28. Mai in ihre Kommissionen zurück. Dann startet die Sommersession. In die Zwischenzeit fällt der Abstimmungskampf zum Geldspielgesetz und zur Vollgeldinitiative. Die beiden Vorlagen kommen am 10. Juni vors Volk.


Tabakwerbung soll komplett verboten werden

Das müssen Sie wissen: Am Dienstag lancierten 28 Gesundheits- und Jugendorganisationen in Bern die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung». 2015 schlug der Bundesrat vor, Tabakwerbung zu verbieten. Das Parlament entschärfte in der Folge die Vorlage: Verboten wurde nur diejenige Werbung, welche sich explizit an Jugendliche richtet. Das geht den Initianten zu wenig weit.

Das will die Initiative: Tabakwerbung im Internet, in Zeitungen, auf Plakaten, in Kinos und an den Verkaufsstellen soll verboten sein. Auch Gratisangebote in Clubs, Zigarettenlogos auf Kleidern, Rabatte, Wettbewerbe oder Sponsoring wären nicht mehr zulässig.

So geht es weiter: Die Initianten müssen mindestens hunderttausend Unterschriften sammeln, damit das Begehren vors Volk kommt.


Heiratsstrafe soll beseitigt werden

Das müssen Sie wissen: In der Schweiz sind bestimmte Ehepaare mit hohem Einkommen bei den direkten Bundessteuern schlechtergestellt als unverheiratete Paare. Grund dafür ist, dass bei einer Heirat die Einkommen zusammengelegt werden und dadurch ein höherer Steuersatz zur Anwendung kommt. Das Bundesgericht sagt aber: Eine Mehrbelastung der Ehepaare von 10 Prozent ist verfassungswidrig. Der Bundesrat will nun die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen.

Das soll sich ändern: Beim vorgeschlagenen Modell wird in einem ersten Schritt die Steuerbelastung der Ehepaare berechnet und in einem zweiten eine alternative Steuerbelastung, die sich an die Besteuerung von unverheirateten Paaren anlehnt. Der tiefere der beiden Beträge wird am Ende eingefordert. Mit dieser Lösung soll die Heiratsstrafe behoben werden. Der Bund rechnet mit Mindereinnahmen von 1,15 Milliarden Franken.

Was jetzt passiert: Der Bundesrat hat gestern die Botschaft zur Gesetzesvorlage verabschiedet. Nun ist das Parlament an der Reihe und wird in den kommenden Sessionen den Vorschlag behandeln.


Steuervorlage 17 ist bereit fürs Parlament

Das müssen Sie wissen: Nach der Niederlage der Unternehmenssteuerreform III an der Urne muss der Bundesrat eine neue Steuervorlage ausarbeiten. Die Reform ist notwendig, weil die kantonalen Steuerprivilegien international nicht mehr goutiert werden. Die Aufgabe des Bundes ist es, eine Vorlage auszuarbeiten, welche die Steuerprivilegien beseitigt und gleichzeitig dafür sorgt, dass die Firmen in der Schweiz bleiben und keine Arbeitsplätze verloren gehen.

Das ist neu: Die Reform will den Kantonen mehr Spielraum bei den Steuersenkungen geben und bietet ihnen an, ihren Anteil an der Bundessteuer zu erhöhen. Das heisst, die Kantone bekommen anstatt wie bisher 17 Prozent neu 21,2 Prozent der Bundessteuer. Das soll es ihnen ermöglichen, weiterhin gute Standortbedingungen für Unternehmen zu bieten. Ebenfalls müssen die Kantone neu die Interessen der Städte und Gemeinden berücksichtigen, die sich bei der ersten Vorlage übergangen fühlten. Ebenfalls wurde die Kritik der Linken aufgenommen: Dividenden auf Beteiligungen über 10 Prozent werden höher besteuert als in der ersten Reform vorgesehen. Auf die umstrittene zinsbereinigte Gewinnsteuer verzichtet der Bundesrat ganz. Die jetzt aufgegleiste Vorlage belastet den Bundeshaushalt mit 920 Millionen Franken, rund 300 Millionen Franken weniger als die gescheiterte Unternehmenssteuerreform III.

So geht es weiter: Der Bundesrat hofft, dass das Parlament die Steuervorlage 17 in der Herbstsession akzeptiert. Gibt es kein Referendum, sollen die Massnahmen 2019 in Kraft treten.

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