Wie das Fernsehen wurde, was es ist – Episode IV

Kamerafrau steht im Wasser eines Flusses und filmt einen Fischer
1988: Das Fernsehen geht nach draussen – Start der Natur-Sendereihe. SRF

Die 1980er bis heute: endlich ein TV-Artikel in der Verfassung – und Konkurrenz

Ausländische Privatsender mischen den Fernsehmarkt auf. Auch im Inland kommen und gehen private TV-Anbieter. Die SRG tarnt sich als Störsender und festigt ihre Macht. Aber bald schon wird die Digitalisierung alles über den Haufen werfen.

Von Christof Moser, Lukas Nyffenegger, Florian Wicki, 02.03.2018

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Das Fernsehen in den 1980er-Jahren: Konkurrenz belebt das Geschäft. Der Grundstein für die Zulassung privater TV-Sender wird gelegt.

Am Ende dieses Jahrzehnts wird das SRG-Monopol Geschichte sein und 50 privaten Schweizer Radio- und 10 Fernsehstationen weichen. Nach der Zulassung privater Sender beruhigt sich die medienpolitische Lage im Land.

Mit der Liberalisierung des Rundfunks gelingt es, eine gesellschaftlich breit abgestützte Medienordnung zu institutionalisieren. Alle darauffolgenden Verfassungs- und Gesetzesabstimmungen finden klare Mehrheiten.

In den 1990ern stärkt die SRG ihre Position im Schweizer Medienmarkt.

In den 2000er-Jahren bis heute – zerfällt alles: Die Digitalisierung führt zur Zersplitterung von allem. Die Medienpolitik muss neu gedacht werden.

Die 1980er-Jahre
Die Behörden können privates Radio in der Schweiz nicht verhindern. Roger Schawinski sendet mit seinem Radio 24 noch immer vom Pizzo Groppera nach Zürich. Werbefinanziert. Und näher an den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern: Er sendet, was empfangen werden will. Und er sendet so lange, bis der Bund aufgibt und private Radiostationen erlaubt.

1980: Eklat in der dritten Ausgabe der «Telebühne», einer Vorläufersendung der «Arena». Das Thema: «Widerstand gegen die Staatsgewalt». Gäste sind der Zürcher Erziehungsdirektor Alfred Gilgen und der Kommunistenjäger Ernst Cincera, zwei Feindbilder der Jugendbewegung. Die Sendung wird vom Studiopublikum gekapert und schliesslich abgebrochen – es ist der erste Abbruch einer Live-Sendung in der Geschichte des Schweizer Fernsehens.

Die politische Lage bleibt bewegt.

Wie das Fernsehen wurde, was es ist

Mit der No-Billag-Initiative geht es um die Zukunft des öffentlichen Fernsehens in der Schweiz. Die Geschichte des Fernsehens ist eine brutale Hetzjagd durch die Zeit. In den fünf Episoden wir diese Geschichte aufgearbeitet.

Episode II

Die 1960er: Fernsehen wird kritisch – die Politik wird es auch

Episode III

Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er

Sie lesen: Episode IV

Die 1980er bis heute – endlich ein Ver­fas­sungs­ar­ti­kel

Episode V

Die Zukunft – wie weiter mit der SRG?

1981: Unbekannte Demonstranten dringen ins «Tagesschau»-Studio ein und fordern «freedom and sunshine for Giorgio Bellini», ein Mitglied der Jugendbewegung. Das Fernsehen verschärft die Sicherheitsmassnahmen.

1981: Rekordzahl von Beschwerden im Herbst 1981 wegen der Radio und TV-Berichterstattung über das in Kaiseraugst geplante AKW.

Der Aufstieg der konservativen CVP zur SRG-Partei beginnt.

1981: Leo Schürmann, Nationalrat und erster Preisüberwacher der Schweiz, wird zum SRG-Generaldirektor gewählt. Er begründete damit eine lange CVP-Ära am Schalthebel des öffentlichen Rundfunks. Seine Nachfolger – Antonio Riva und Armin Walpen – sind ebenfalls CVP-Mitglieder.

Erst 2010 verliert die CVP den Posten an der SRG-Spitze wieder, mit der Wahl von Roger de Weck zum Generaldirektor. Medienwissenschaftler Roger Blum wird im «Tages-Anzeiger» schreiben, die CVP-Ära sei «zum Teil Zufall» gewesen, begünstigt allerdings von den politischen Verhältnissen. In der Parteipresse des 20. Jahrhunderts vereinigte der Freisinn rund zwei Drittel aller Blätter unter sich. Der CVP blieb eine marginale Stellung. «Darum war es logisch, dass sich die CVP im aufkommenden Radio- und Fernsehgeschäft engagierte. Das Radio sorgte für einen Ausgleich in der durch die Printpresse und damit von der FDP dominierten Medienwelt.»

1982: Die neue Rundfunkversuchsordnung leitet das Ende des nationalen SRG-Monopols ein. Der Bundesrat schreibt: Trotz der Kommerzialisierung solle der Rundfunk «vor allem zur Meinungsbildung über Fragen des lokalen Zusammenlebens beitragen und das Verständnis für die Anliegen der Gemeinschaft und das lokale kulturelle Leben fördern».

Die politische Lage bleibt bewegt.

1983: Franz Hohlers Mundartversion des Protestlieds «Le déserteur» wird vom Schweizer Fernsehen nicht ausgestrahlt. Der Kabarettist verzichtet auf die Weiterführung seiner Sendung «Denkpause».

Im gleichen Jahr kommt es zu einem Meilenstein in der Mediengeschichte der Schweiz.

1983: Radio 24 geht auf Sendung.

Die SRG zieht nach.

1983: Radio DRS 3 geht auf Sendung – als «amtlich bewilligter Störsender».

Was privat geleistet werden kann, kann auch das öffentliche Radio und Fernsehen – so definiert die SRG jetzt ihren Auftrag. Bis weit in die 1990er-Jahre hinein. So festigt sie ihre Macht.

Und wird übermütig.

1984: «Unter uns gesagt» (9. Mai)

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Legendär ist der Zusammenprall zwischen dem langjährigen Radio- und TV-Moderator Heiner Gautschy («Hallo Beromünster, hier spricht Heiner Gautschy in New York») und dem damaligen «Blick»-Chefredaktor Peter Uebersax. In einer Live-Sendung aus Uebersax' Haus in Herrliberg versucht Gautschy den Boulevard-Profi von der Schmuddeligkeit seines Tuns zu überzeugen – und verliert in seiner ganzen Überheblichkeit die Fassung.

Es ist das Ende von Gautschys TV-Karriere. Zwei Tage nach der Sendung verliert er seinen Job. Uebersax erhöht die «Blick»-Auflage während seiner Zeit als Chefredaktor um 40 Prozent.

1984: Einführung Teletext.

Europaweit werden die TV-Märkte dereguliert, das duale Rundfunksystem mit öffentlichen und privaten Sendern wird eingeführt. Die Liberalisierung und Kommerzialisierung führt auch in der Schweiz zu neuen TV-Kanälen.

Der Bundesrat konzessioniert den Privatsender Teleclub und den European Business Channel (EBC). Zusätzlich kann das Publikum 52 Satelliten-TV-Programme über Parabolantennen empfangen.

1984: Start des Pay-TV-Kanals Teleclub.

1984: Die 40-teilige Serie «Motel» spiegelt den Schweizer Alltag und wird vom «Blick» in einer wochenlangen Kampagne in allen Details kritisiert.

1984: Die Stimmberechtigten nehmen im dritten Anlauf den Radio- und TV-Artikel in der Verfassung mit 68,7 Prozent Ja-Stimmen an.

Artikel 55bis gewährleistet unter anderem die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen und bringt der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI eine Verfassungsgrundlage. An Auflagen werden unter anderem festgeschrieben: Beitrag zur freien Meinungsbildung, Vielfalt der Ansichten, sachgerechte Darstellung und kulturelle Entfaltung.

«Alles endete in einem guteidgenössischen Kompromiss, der meistens daran scheiterte, dass sich ausländische Einflüsse nicht wie gewünscht steuern liessen», schreiben die Historiker Theo Mäusli, Andreas Steigmeier und François Vallotton in «Radio und Fernsehen in der Schweiz. Geschichte der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG 1983–2011». Zum Beispiel Schweizer Werbefenster auf ausländischen TV-Sendern. Die Politik wird sie aufgrund europäischer Regelungen erlauben müssen.

1985: Im Brüsseler Heysel-Stadion kommt es beim Europacup-Endspiel zur Katastrophe, als in den Zuschauerrängen eine Massenpanik ausbricht. Trotz vieler Toter und Verletzter wird die Direktübertragung bis zur Halbzeit aufrechterhalten. Das Schweizer Fernsehen reagiert mit der Einsetzung eines Chefredaktors in der Abteilung «Information».

Mitte der 1980er-Jahre wird das Fernsehen immer stärker gezwungen, sich am Markt und an den neuen Publikumsbedürfnissen zu orientieren. Mit neuen bedürfnisorientierten Programmen reagieren die TV-Macherinnen auf den zunehmend fragmentierten Medienkonsum.

1985: SRG und SF DRS präsentieren sich mit einem neuen Signet. Einführung von Telecontrol (elektronisches Messsystem für die Zuschauerforschung).

1986: Weltweit erstmals Live-Übertragung eines Ereignisses parallel auf zwei Sendern aus unterschiedlicher Sicht: «Schwanensee» im Theater Basel.

Das Ohr am aktuellen Geschehen: Erich Gysling moderiert die Nationalratswahlen 1987. SRF

1987: Erste Sendungen in Stereo- oder Zweikanalton.

Der politische Druck auf das Fernsehen lässt nach. Die Politik ist jetzt über das Aufkommen von ausländischen Privatsendern beunruhigt.

1988: Start des ersten Schweizer Kommerzsenders (European Business Channel).

Die private Konkurrenz im In- und Ausland zwingt das Schweizer Fernsehen zu mehr Mut – und Experimenten.

1988: «Grell pastell» (25. November)

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Die Sendung mit Kurt Aeschbacher zum Thema Sex führt zu einer Rüge der Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI, weil Talkgast Uta Ranke-Heinemann den Papst wegen des Kondomverbots und der Gefahr einer HIV-Infektion als Mörder bezeichnete und ausserdem die Jungfräulichkeit der Maria bezweifelte. Die UBI rügt, diese Aussagen hätten die religiösen Gefühle einiger Zuschauer verletzt und widersprächen dem Neutralitätsgebot des Schweizer Fernsehens.

1989: Die Sendung «Medienkritik» widmet sich dem Thema «Der Satelliten-Beschluss – jetzt verändern die Privaten die Schweizer TV-Landschaft». Diskutiert wird die Frage, ob das wachsende Programmangebot des Satellitenfernsehens «unsere Kultur» zerstöre.

1989: Start der Nachmittagssendungen (ab 13.00 Uhr) als Reaktion auf die Aufschaltung deutscher Privatsender in den Kabelnetzen. Die Marktanteile von SF DRS sinken.

Die 1990er-Jahre
Die Schweiz ist im Umbruch. Das Fernsehen wird zum Medium schlechthin.

1990: Das Bundesgericht bestätigt die Konzessionsverletzung durch die «Grell pastell»-Sendung zum Thema Sex. Das Fernsehen reagiert darauf mit einer «Medienkritik»-Sendung.

Der Fichenskandal erschüttert das Land. Die Regierung gerät unter Druck, das Vertrauen erodiert, die «700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft» wird von Kulturschaffenden boykottiert. Max Frisch nennt die Schweiz einen «verluderten Staat».

1990: Das Hauptabendprogramm wird neu gegliedert. Neben der «Tagesschau» wird «10 vor 10» als zweite Nachrichtensendung etabliert.

1991: Das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen verankert das duale Rundfunksystem, das der SRG unter der Auflage des Service public mit einem umfassenden Leistungsauftrag gegenüber den privaten Anbietern Vorteile einräumte. Trotz der Konzessionierung zahlreicher Privatsender kann die SRG ihre privilegierte Stellung damit absichern. Sonntags- und Unterbrecherwerbung werden erlaubt. Weiter sinkende Marktanteile durch die Konkurrenz kommerzieller deutscher Programme.

Die SRG muss sparen und droht, die Kulturprogramme zu streichen. Was Kulturschaffende aufschreckt, die gegen den «Kulturabbau» protestieren.

1993: Neue Konzession an die SRG mit umfangreichem Service-public- Auftrag. Das Programmkonzept S Plus legt auf Druck des Bundesrats das Schwergewicht auf Konkurrenz zu SF DRS. Die privaten Verlage können in einem sogenannten Fensterprogramm auf S Plus Sendungen ausstrahlen («Cash TV», «NZZ Format»).

1993: Die Einführung des Tagesfernsehens (ab 9.00 Uhr) und neuer Sendungen wie der «Arena» bringen wachsende Marktanteile.

1993: Als erster ausländischer Privatfernsehkanal startet RTL plus ein Schweizer Werbefenster. Im Parlament muss der Bundesrat Stellung nehmen, warum er das Abschöpfen von Schweizer Werbegeldern durch ausländische Veranstalter zulässt. Der Bundesrat verweist auf das nationale Recht übergeordneter EU-Übereinkommen zum grenzüberschreitenden Fernsehen, das die Zulassung von Werbefenstern erzwingt.

1994: Start von Tele Züri.

1995: Start von Schweiz 4, das S Plus ersetzt, sowie des kommerziellen Spartenkanals Star TV.

1997: Neuausrichtung des vierten Kanals als SF 2 («Programm auf zwei Kanälen»). Ersatz der Programmansage durch Trailer-Hinweise.

1998: Das Schweizer Programmfenster von Sat.1 geht an den Start, der Schweizer Sender Tele 24 wird lanciert.

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Der Start von Tele 24 führt in der Nachrichtensendung «10 vor 10» zu einer legendären Liebelei zwischen öffentlichem und privatem Fernsehen.

1999: Der Tamedia-Kanal TV 3 und die Programmfenster von RTL/Pro sieben verstärken die Konkurrenz im Inland.

Die 2000er-Jahre bis heute
Die Aufbruchsphase des privaten Fernsehens in der Schweiz findet ein jähes Ende. Im Jahr 2000 wird das Programmfenster von RTL/Pro sieben wieder geschlossen. Tele 24 und TV 3 stellen den Betrieb 2001 wieder ein. Dafür geht der SRG-Kanal SF info schweizweit auf Sendung.

Der Bundesrat präsentiert Ende 2002 die Botschaft zu einem neuen Radio- und Fernsehgesetz, das 2005 in Kraft treten wird. Die Position der SRG wird darin angesichts der starken ausländischen Konkurrenz als viersprachiger Service-public-Anbieter gefestigt. Dafür sollen ein Gebührensplitting und gelockerte Werberegeln die Marktchancen von Lokalsendern vergrössern.

Die Digitalisierung fegt die bisherige Medienordnung jedoch schon bald dahin. Neue Nutzergewohnheiten etablieren sich. Presse, Radio und Fernsehen verschmelzen zum – Internet. Neue Anbieter wie Netflix greifen das lineare Fernsehen an und lassen vor allem bei jungen Mediennutzern das Verständnis für öffentliches Radio und Fernsehen erodieren.

2015 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung in der sogenannten RTVG-Revision über eine neue Gebührenordnung ab. Die Vorlage wird nur äusserst knapp angenommen.

Ein erster unheilvoller Vorbote auf die No-Billag-Abstimmung. Nach der Abstimmung über die Abschaffung der Radio- und TV-Gebühren wird sich so oder so die Frage stellen: Wie weiter, SRG?

Es geht um alles oder nichts.

Lesen Sie jetzt Episode 5: «Die Zukunft – wie weiter mit der SRG?»

Quelle der Videos: SRF/Telepool, YouTube

Wie das Fernsehen wurde, was es ist

Episode II

Die 1960er: Fernsehen wird kritisch – die Politik wird es auch

Episode III

Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er

Sie lesen: Episode IV

Die 1980er bis heute – endlich ein Ver­fas­sungs­ar­ti­kel

Episode V

Die Zukunft – wie weiter mit der SRG?