Die Schweizer Banken und ihr Tanz mit dem Monster

Der chinesische Mischkonzern HNA hat in einem Übernahmerausch weltweit Dutzende von Firmen – darunter die halbe frühere Swissair-Gruppe – aufgekauft und einen Schuldenberg angehäuft. UBS und Credit Suisse haben ihn dabei unterstützt. Doch nun gerät der Koloss ins Wanken.

Von Mark Dittli, 09.02.2018

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Die Dame am Check-in-Schalter am Flughafen Zürich; der Mechaniker, der in Kloten Flugzeuge wartet; die Arbeiterin, die im Catering Mahlzeiten für Hunderte von Flügen bereitstellt: Was haben sie gemeinsam? – Sie arbeiten alle für HNA. Der auf der südchinesischen Insel Hainan beheimatete Mischkonzern beschäftigt in der Schweiz mehr als 8000 Menschen und ist damit als direkter Arbeitgeber im Land wichtiger als beispielsweise die ABB.

HNA war in den vergangenen Jahren der Star an den globalen Finanzmärkten. Die Gruppe kaufte Dutzende von Firmen und Beteiligungen in diversen Branchen, darunter die früheren Swissair-Töchter Swissport, Gategroup und SR Technics.

Geld schien dabei nie eine Rolle zu spielen.

Doch nun mehren sich an den Finanzmärkten die Signale, dass HNA mit Problemen kämpft. Kredite in Milliardenhöhe werden zur Rückzahlung fällig, die Zinslast drückt. Die Konzernstruktur ist undurchsichtig; unter dem Dach von HNA wuchert ein Geflecht aus unzähligen Tochtergesellschaften, und bis heute ist nicht klar, wem die Gruppe eigentlich gehört.

Mehrere westliche Banken haben im Verlauf der vergangenen zwölf Monate beschlossen, keine Geschäfte mehr mit HNA zu machen. Zu riskant. Nicht so die Schweizer Grossbanken: UBS und Credit Suisse gehören ausserhalb Chinas zu den wichtigsten Geschäftspartnerinnen von HNA.

Sind die Schweizer Banken töricht? Oder besonders clever? Das wird sich erst weisen, wenn das nächste, möglicherweise turbulente Kapitel in der Geschichte von HNA geschrieben ist.

Es ist eine Geschichte, wie sie sich in der Wirtschaftswelt wieder und wieder ereignet: Ein charismatischer Lenker führt sein Unternehmen in immer höhere Sphären. Alles gelingt, jeder Schritt ein Erfolg – und mit jedem Coup werden die Banken noch freimütiger mit der Vergabe von Krediten.

Irgendwann wird aus Charisma Übermut. Und aus Übermut wird irgendwann Grössenwahn. Und Überschuldung. Und Niedergang. Und weil sich diese Geschichte von HNA um China dreht, ist alles noch eine Nummer grösser.

Hier ist sie:

Aufstieg ohne Grenzen

HNA ist ein chinesisches Märchen. 1993, als China unter Deng Xiaoping seinen Aufstieg begann, gründete der damals 40-jährige Chen Feng ein Unternehmen namens Hainan Airlines. Die Flotte bestand zunächst aus einer Maschine.

Das Unternehmen, bald in HNA Group umgetauft, wurde rasch grösser. Über die Jahre kaufte Chen mit seiner Gruppe andere Fluglinien in China, später auch Flughäfen, Reisebüros, Detailhandelsketten und Logistikunternehmen.

2014 betrat HNA die globale Bühne. In allen Ecken der Welt kaufte die Gruppe nun Immobilien und Unternehmen aus allen möglichen Branchen.

In der Schweiz erstmals aktiv wurde HNA 2015, als die Gruppe den Flughafen-Abfertigungsspezialisten Swissport kaufte. Ein Jahr später folgten SR Technics und Gategroup.

Aufsehen erregte HNA im März 2017, als sie für mehr als 6 Milliarden Dollar einen 25-Prozent-Anteil an der Hilton-Hotelgruppe kaufte. Finanziert wurde der Deal für die Chinesen gemäss einer Pflichteingabe bei der US-Börsenaufsicht SEC mit Krediten von vier westlichen Banken: JP Morgan, Credit Suisse, Deutsche Bank und UBS.

Ende April 2017 liess HNA die nächste Bombe platzen und meldete den Erwerb von knapp 10 Prozent der Aktien der Deutschen Bank im Wert von rund 3,4 Milliarden Euro. Mehr als die Hälfte der Kreditfinanzierung für diese Transaktion stammte von der UBS.

Der Coup mit der Deutschen Bank war der letzte grosse Kauf von HNA. Innerhalb von drei Jahren hatte die Gruppe mehr als 40 Milliarden Dollar für Übernahmen ausgegeben; nach eigenen Angaben schrieb sie per Mitte 2017 mehr als 90 Milliarden Dollar Jahresumsatz und beschäftigte weltweit 410’000 Mitarbeitende. HNA zählte damit zu den 500 weltgrössten Unternehmen.

Die kleine Airline aus der verschlafenen Insel Hainan war ganz oben angekommen.

Dann begannen die Turbulenzen.

Risse in der Fassade

In all den Jahren des Aufstiegs kreiste eine Frage um HNA: Wem gehört dieser weitverzweigte Konzern eigentlich? Zahlen zur HNA Group sind rar: Zwar sind die Aktien von dreizehn ihrer Tochtergesellschaften an den Börsen von Shenzhen oder Hongkong kotiert, doch die Holding selbst liegt in privaten Händen. Konsolidierte Bilanzzahlen publiziert die HNA Group nur in rudimentärer Form.

Im Sommer 2017 erhielt die Frage der Besitzverhältnisse neue Brisanz, als HNA im Juli meldete, dass rund 52 Prozent des Gesellschaftskapitals zwei obskuren Stiftungen gehören – die eine ist in New York, die andere in China beheimatet. Der Rest des Kapitals soll im Besitz der Mitarbeiter und der Managerinnen von HNA stehen. Doch zum Zeitpunkt, als HNA die Meldung publizierte, war die Stiftung in New York gemäss einem Bericht des «Wall Street Journal» noch nicht einmal korrekt registriert.

Diese Unklarheit in den Beteiligungsverhältnissen von HNA rächte sich. Unbestätigten Medienberichten zufolge beschlossen die amerikanischen Banken Morgan Stanley, Citigroup und Bank of America, die Beziehungen zu HNA zu kappen – aus Risikoüberlegungen. Im Herbst soll die US-Investmentbank Goldman Sachs aus diesem Grund sogar die lukrative Arbeit für den geplanten Börsengang einer HNA-Tochter in New York abgelehnt haben.

Plötzlich stand HNA nun in diversen Ländern im Zwielicht: Die US-Behörden verzögerten die von den Chinesen geplante Übernahme der Hedgefonds-Gesellschaft Skybridge Capital; in Neuseeland wurde ein von HNA geplanter Kauf eines Finanzdienstleisters auf Eis gelegt; die Aufsichtsbehörden in Deutschland prüften, ob beim Kauf des Aktienpakets von der Deutschen Bank alles mit rechten Dingen abgelaufen ist.

In der Schweiz erteilte die Übernahmekommission Ende November 2017 HNA eine Rüge. Der Grund: Die Chinesen hatten beim öffentlichen Kaufangebot für Gategroup im Jahr 2016 geschummelt und unwahre Angaben über die eigenen Besitzverhältnisse gemacht. Eine Peinlichkeit für die Anwaltskanzlei Bär & Karrer, die HNA in der Transaktion beraten hatte.

Die Wirren um die Beteiligungsverhältnisse hinter HNA wurden dermassen problematisch, dass die Gruppe in die Offensive gehen musste. Im Dezember 2017 setzte sie Philipp Rösler als Geschäftsführer der New Yorker Stiftung ein; der frühere deutsche FDP-Wirtschaftsminister und Ex-Vizekanzler soll der Stiftung, die gut 29 Prozent an HNA hält, einen seriösen Anstrich geben.

Ende Januar 2018 sah sich HNA sodann gezwungen, öffentlich mitzuteilen, dass sie die Risikokontrollen von vier internationalen Banken bestanden habe: JP Morgan, UBS, Credit Suisse und der japanischen Nomura.

Doch das beruhigte die Finanzmärkte nur kurz. Denn mit den Zweifeln um die Beteiligungsverhältnisse hinter der Gruppe trat spätestens ab Ende 2017 ein nächstes, weit gravierenderes Thema in den Vordergrund: HNA ist massiv verschuldet.

Wem die Stunde schlägt

Geld spielte in der weltweiten Einkaufstour von HNA nie eine Rolle. Chinesische und westliche Banken haben die Gruppe stets grosszügig mit Krediten unterstützt.

Doch es ist wie immer, wenn jemand auf Pump lebt: Irgendwann spielt Geld eben doch eine Rolle. Und das dürfte für HNA nun der Fall sein.

Gemäss Berichten der Nachrichtenagentur Bloomberg sitzt HNA auf Schulden in Höhe von rund 73 Milliarden Dollar. Die Zinsen berappen sich jährlich auf 4,3 Milliarden Dollar. Allein in den Jahren 2018 und 2019 sollen Anleihen in Höhe von 20 Milliarden Dollar zur Rückzahlung fällig werden, wie die «Financial Times» schreibt. Anfragen bei HNA zu diesen Zahlen blieben unbeantwortet.

Das Problem: Die Finanzlage von HNA ist genauso intransparent wie die Besitzverhältnisse. Die zahlreichen Tochtergesellschaften der Gruppe haben untereinander Kredite vergeben und dienen nicht selten als Pfand für Bankkredite, die HNA in Anspruch genommen hat.

Ein anschauliches Beispiel dafür liefert Swissport: Das in der Schweiz beheimatete Unternehmen hat derzeit gemäss Angaben eines Sprechers interne Kredite an andere HNA-Töchter in Höhe von knapp 350 Millionen Euro ausstehend. Mit anderen Worten: HNA hat die Bonität von Swissport benutzt, um die Finanznöte anderer Töchter zu finanzieren. Wie im Mai 2017 publik wurde, hatte HNA die Aktienbeteiligung an Swissport zudem verpfändet, um weitere Schulden aufnehmen zu können.

Um die eigenen Finanznöte zu lindern, hat HNA den Verkauf von Vermögenswerten im Umfang von bis zu 16 Milliarden Dollar angekündigt. Ein Anteil an Swissport soll noch in diesem Jahr an die Schweizer Börse gebracht und an Investoren verkauft werden; HNA hat bereits die Grossbanken JP Morgan und Credit Suisse mit der Transaktion mandatiert.

Ein Anteil an Gategroup soll ebenfalls wieder an die Börse gelangen, und zudem will HNA Immobilien in aller Welt veräussern.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Die Vermögenswerte unter dem Dach von HNA sind zum Teil mehrfach belehnt, das heisst, im Fall ihres Verkaufes fliesst der Erlös direkt an die Kreditgeber. Es ist auch alles andere als sicher, ob die ins Auge gefassten Verkäufe und Börsengänge im aktuellen, von Nervosität geprägten Umfeld an den Finanzmärkten überhaupt erfolgreich durchgeführt werden können.

Nun rächt es sich insbesondere für die UBS, dass sie HNA in der Vergangenheit so grosszügig unterstützt hat. Die Bank hat HNA allein für den Kauf der Beteiligung an der Deutschen Bank mit 2,1 Milliarden Euro unterstützt. Ob diese Forderung oder ein Teil davon noch in den Büchern der UBS steht, lässt sich nicht eruieren. Die Medienstelle der Bank gibt grundsätzlich keine Kommentare zu ihren Kundenbeziehungen ab.

Eine unglückliche Hand hat die UBS zudem mit einer Absicherung bewiesen, die sie den Chinesen gewährt hat: Wie aus einer Pflichteingabe bei der US-Börsenaufsicht SEC hervorgeht, haben sich HNA und UBS im April 2017 auf ein sogenanntes «Collar»-Optionsabkommen geeinigt. Dieses sieht vereinfacht gesagt vor, dass die UBS zwischen dem 12. Februar und dem 20. Juli 2018 insgesamt dreissig Mal eine Zahlung an HNA leisten muss, sofern der Aktienkurs der Deutschen Bank unter 15 Euro liegt. Unglücklich für die Schweizer: In der Börsenkorrektur der vergangenen Tage hat der Aktienkurs der Deutschen Bank besonders stark gelitten. Er liegt aktuell bei rund 13 Euro. Bleibt er auf diesem Niveau, müsste die UBS am kommenden Montag, dem 12. Februar, knapp 4,4 Millionen Euro an HNA bezahlen. Danach geht es Woche um Woche bis Juli so weiter, sofern der Aktienkurs der Deutschen Bank nicht über 15 Euro steigt.

Eine weitere derartige Optionsvereinbarung wird in einem Jahr, am 11. Februar 2019, fällig. Bis dann, so muss die UBS hoffen, darf der Aktienkurs der Deutschen Bank nicht unter 16.70 Euro liegen.

Wie stark diese Zahlungen die UBS am Ende effektiv belasten werden, ist unklar. Normalerweise sichert eine Bank ihre Risiken aus derartigen Optionsgeschäften ab. Auch zu dieser Vereinbarung gibt die UBS-Medienstelle keinen Kommentar ab.

Gefährlich nah an der Sonne

Die Zukunft von HNA wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Spielen die Finanzmärkte mit und gelingt es der Gruppe, ihre Beteiligungen und Vermögenswerte wie geplant zu verkaufen, dürfte sie – und ihre Gläubiger – mit einem blauen Auge davonkommen.

Eine wichtige Rolle werden dabei die chinesischen Banken spielen, die HNA auf ihrer Einkaufstour ebenfalls kräftig unterstützt haben. «Wenn die chinesischen Banken den Stecker ziehen, ist die Luft in der HNA Group schnell draussen», sagt ein Kreditanalyst, der aus Rücksicht auf Kundenbeziehungen nicht genannt werden will.

Ironie der Geschichte: Swissport, Gategroup und SR Technics waren einst stolze Bestandteile der Swissair-Gruppe, die im Herbst 2001 an den Folgen ihres schuldenfinanzierten Grössenwahns zerbrach.

Heute liegt das Schicksal der drei Schweizer Unternehmen – und Tausender ihrer Angestellten – wieder in den Händen einer grössenwahnsinnigen Mutter, die gefährlich nahe an der Sonne fliegt.

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