Tisch vor Bergpanorama mit leeren Weingläsern und Flaschen
«Vorbei die Zeiten, als Cheval blanc 1959 zu 1550 Franken pro Flasche serviert wurde»: Verlassener Tisch von WEF-Gästen im Hotel Schatzalp in Davos, 1997. Peter Marlow/Magnum/Keystone

Das Unverbesserliche

Sie essen bio, achten auf Gleichstellung, verbessern die Welt: Das World Economic Forum ist eine Firma voller junger, positiver Menschen. Und hat mit Professor Schwab einen Globalisierungskritiker an der Spitze. Wartet auf Präsident Trump das grösste linksgrüne Hipstercafé des Planeten?

Von Margrit Sprecher, 23.01.2018

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Der Taxichauffeur hält in hundert Meter Entfernung. «Näher dürfen wir nicht fahren.» Schon auf dem ganzen Weg durch Genfs Vorort Cologny hatten links und rechts martialische Sicherheitsmasten Villen und Parks bewacht. Doch was die Route de la Capite 91–93 bietet, schlägt alles. Blütenstängeln gleich wachsen die Metallglocken und Trichter aus dem Boden. Den Eingang blockiert ein Bunker, gross genug, um eine Panzertruppe aufzuhalten. Und hat man die Passkontrolle passiert, schliesst und öffnet sich eine weitere Sicherheitskapsel. Dann freilich – Blick frei in die heitere Weite einer Empfangshalle! Vor den Fenstern liegt der Genfersee, von der Wand blickt goldgerahmt der Hausherr. Strafend, mit professoraler Würde, wie immer.

Republik: «Warum lachen Sie so selten?»
Klaus Schwab: «Ich bin auf meine Aufgabe konzentriert.»

Seine Antworten hatte uns Klaus Schwab schriftlich geschickt; er war grad wieder mal in Amerika. Vielleicht, so hofften wir beim WEF-Besuch in Cologny, konnten die Damen und Herren aus der Medienabteilung dies und das ergänzen. Diese wechselten einen kurzen Blick. Dann war klar: An den Worten des grossen Vorsitzenden wird nicht herumgepfuscht.

Schwatzbude, Rummelplatz, Basar

Dass Trump kommen würde, wusste damals noch niemand. Schwabs Leute sprachen lediglich von «grossen Veränderungen in letzter Minute». Dabei sahen sie so glücklich aus wie Kinder vor der Bescherung. Verständlich. Dem Chef war ein PR-Coup gelungen, den das World Economic Forum dringend brauchte. Immer häufiger boykottierte die erste Garde den Davoser Kongress. Statt den Premierministern kamen deren Minister, statt den Konzernlenkern deren Finanzdirektoren. Phrasendrescher lasen Texte ab, die ihre Werbeabteilung verfasst hatte; Selbstdarsteller mochten die Mikrofone nicht freigeben. Selbst Stammgast Bill Clinton sprach von Schwatzbude, Rummelplatz und Basar. Abends stand man an zähen Apéros herum oder trank Bier an Veranstaltungen, die an Betriebsausflüge erinnerten. Vorbei die Zeiten, als goldpanierte Häppchen und Cheval blanc 1959 zu 1550 Franken pro Flasche serviert wurden. Oder an der Burda-Party rasch Angela Merkel vorbeischaute. Sogar die Demonstranten mochten nicht mehr nach Davos kommen. Der Kongress war ihnen zu langweilig geworden.

Um seinen Kongress aufzupeppen, lud Klaus Schwab halb Hollywood ein. Zu seinem Missfallen setzten sich Sharon Stone, Richard Gere und wie sie alle hiessen, zu gekonnt in Szene, und Angelina Jolie und Matt Damon weibelten zu aufdringlich für ihre eigenen Stiftungen. Letztes Jahr versuchte es Klaus Schwab mit gekrönten Häuptern. Eine weitere Enttäuschung. Die Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen aus Holland, Belgien und Norwegen blieben lieber unter sich, statt mit den Geschäftemachern zu smalltalken.

Republik: «Was bedeutet Ihnen Davos persönlich?»
Klaus Schwab: «Davos ist heute neben Genf meine zweite Heimat, zumal ich dort mit meiner Frau Ehrenbürger bin.»

Die Davoser Ehrenbürger-Urkunde ist nur eine von Klaus Schwabs 14 Auszeichnungen. Freilich eine der seriöseren Art. Den Freundschaftsorden aus Kasachstan heftete ihm 2002 Langzeitdiktator Nursultan Nasarbajew an. Und die Herkunft der Stara Planina 1. Klasse bleibt so undurchsichtig wie die des Ordens vom Aztekischen Adler, des Ordens der Aufgehenden Sonne und des Knight Commander des Ordens vom Heiligen Michael und Georg. Egal. Ein Mensch, den die «Financial Times» als «Weltklasse-Talent in Sachen Schmeichelei» bezeichnet, empfindet auch selbst keine Ehrung zu gering und kein Kompliment zu üppig.

Mit gütiger Bescheidenheit

Nun zählt in einem Tourismusort wie Davos der Ehrenbürgerpass nicht viel mehr als die Ehrenurkunde für einen treuen Concierge. Immer geht es um langjährige Dienstleistungen. Der gebürtige Deutsche Klaus Schwab steht seit bald fünfzig Jahren im Dienste von Davos. Immer im Januarloch füllt er zuverlässig die Davoser Hotelbetten. Und nicht nur diese. Er mietet auch Klappbetten in Bastelräumen und Kajütenbetten in Kinderzimmern. Er mietet Boutiquen und Bäckereien als Konferenzräume und Schulhäuser als Bürogebäude. Sieht man sich die Preise an, verdient Davos während der WEF-Woche so viel wie sonst in drei Monaten.

«Wer 27’000 Franken Eintritt zahlt, will was für sein Geld»: Teilnehmer am European Management Symposium, dem späteren World Economic Forum, 1986. Keystone
«So steif, als wären sie bei etwas Unanständigem ertappt worden»: Kongressgäste vergnügen sich auf der Skipiste in Davos, 1986. Keystone

Klaus Schwab seinerseits mag Davos wohl wirklich. Schliesslich hat er hier auch 1971 seine Sekretärin, Fräulein Hilde Stoll aus Aarburg (AG) geheiratet. Bescheidene Margeriten zierten ihren Brautstrauss und seine Brusttasche. Heute trägt Frau Hilde ihr Haar schwer gelackt, und Herrn Schwab umflort Bedeutsamkeit. Doch nie hat er aufgehört, von seinen «lieben Freunden aus Davos» zu sprechen. Als Zeichen seiner Volksverbundenheit lädt er jeweils vor Kongressbeginn ein paar Einheimische ins Restaurant «Zum Bergführer» ein. Auf den Fotos lächeln seine Gäste so steif, als wären sie bei etwas Unanständigem ertappt worden.

Dieses Jahr stellt Klaus Schwab seinen Kongress unter das Motto: «Für eine gemeinsame Zukunft in einer zersplitterten Welt». Das passt zu Donald Trump wie ein Chorknabenchor zu Techno-Gedröhn. Doch das Kongressthema war den angereisten Topshots schon immer egal. Erstens waren sie es gewohnt, ihre eigene Agenda zu führen. Zweitens konnte sich unter der pompösen Beliebigkeit des Titels ohnehin niemand etwas vorstellen. Die meisten vermuteten hinter Leerformeln wie «Partnerschaft für Wohlstand und Sicherheit» oder «anpassungsfähige und verantwortungsvolle Führung» ohnehin eine Art rosa Nebel, der verbergen sollte, was an den vier Kongresstagen tatsächlich geschah.

Republik: «Wie stehen Sie zu Donald Trump und seinem ‹America first›-Programm?»
Klaus Schwab: «Die Welt macht einen riesigen Wandel durch. Niemand will dabei zu den Verlierern gehören, und das macht uns alle viel egoistischer.»

An Egoisten freilich hatte es in Davos noch nie gemangelt. Wer 27’000 Franken Eintritt zahlt, will was für sein Geld. Zum Beispiel Investoren. Die Staatschefs aus Drittweltländern locken mit willigen, billigen Arbeitskräften, diskreten Steuerbehörden, fehlendem Umweltschutz und einer schlagkräftigen Polizei. Anderen Kongressteilnehmern geht es um Macht. 2004 warb der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney für seine Methode, Menschen wie Saddam Hussein ermorden zu lassen, sollte die Diplomatie nichts nützen. 2010 suchten die US-Banker von Wall Street, Citigroup und Morgan Stanley Verbündete im Kampf gegen Spielverderber Obama: Vier Jahre Barack sind genug! 2016 wollte der britische Premierminister David Cameron in Davos den Brexit verhindern. 2017 bot sich der chinesische Staatschef Xi Jinping als verlässlichen Partner und Verfechter des freien Handels an. Er hatte die Bühne ganz für sich. Amerika musste die Trump-Wahl verdauen, und auch die Europäer, gelähmt von ihren Flüchtlingsproblemen, waren zu Hause geblieben. Am kommenden Freitag um 15 Uhr wird Trump die Gelegenheit nutzen, um europäische Firmen in sein neues Steuerparadies abzuschleppen.

«Schwab blickt mit gütiger Bescheidenheit auf sein Versöhnungswerk»: Politiker und Ökonomen leiten 1986 am WEF in Davos eine Veranstaltung. Stehend: Professor Klaus Schwab. Keystone
«Und möglichst den Friedensnobelpreis»: Der damalige israelische Aussenminister Shimon Peres (r.) mit Palästinenserführer Yassir Arafat 1994 am WEF. Keystone

Klaus Schwab dagegen will in Davos vor allem eines: Bewunderung. Und möglichst den Friedensnobelpreis. Anzeichen dafür gibts etliche. Zum Beispiel das Foto, das 1992 um die Welt ging. Es zeigt den aus zwanzigjähriger Haft entlassenen Mandela neben Südafrikas Staatschef de Klerk. Nicht weniger spektakulär war 1994 die Paarung von Palästinenserführer Yassir Arafat mit dem israelischen Aussenminister Shimon Peres. Auf beiden Bildern blickt Schwab mit gütiger Bescheidenheit auf sein Versöhnungswerk.

Demut kostet nichts

Doch der WEF-Erfinder hat auch Rückschläge zu verkraften. Die Zahl der abgestürzten, in Ungnade gefallenen WEF-Experten und Stammgäste ist beachtlich. Häufig trifft es besonders treue Kongressstützen. Die einen werden als Zocker entlarvt, die andern als Abzocker, die Dritten als Nieten. Ex-Novartis-Boss Daniel Vasella und Ex-ABB-Chef Percy Barnevik gelten dank ihrer Millionenabfindungen als Sinnbilder für Managergier. Josef Ackermann brachte mit seinen riskanten Geschäften die Deutsche Bank an den Rand des Ruins. Marcel Ospel bescherte der UBS nicht nur Milliardenverluste, er war auch «der letzte Sargnagel» («Blick») beim Untergang der Swissair.

Noch grössere Folgen hatten die Missgriffe etlicher «strategischer Partner», wie beim WEF der innere Beraterkreis heisst. Der Korruptionsskandal von Partner Siemens 2006 kostete den deutschen Elektrokonzern viel Vertrauen und 2,5 Milliarden Euro Strafe. Die Pleite von Partner Lehman Brothers 2008 sorgte für einen weltweiten Tsunami, der das Weltfinanzsystem um ein Haar kollabieren liess.

Viele der damals als «vampire squids», als gierige Blutsauger, Beschimpften liessen sich nach dem Crash in Davos nicht mehr blicken. Wenigstens eine Zeit lang. 2013 waren sie, wie die Herren von Goldman Sachs, wieder da. Wohlversorgt mit den Tipps ihrer Imageberater, gaben sie sich zerknirscht als Büsser. Demut kostet nichts und macht sympathisch. Auch wir sind halt nur Menschen. Sie hüteten sich, auf Partys oder im Schnee fotografiert zu werden, und arbeiteten umso fleissiger. Mussten sie. Schliesslich waren auch ihre hundert besten Kunden vor Ort. Bald schon konnte sich die Bankspitze wieder 100 Millionen Dollar Boni gönnen.

Republik: «Sie geisselten in Ihrer Eröffnungsrede die ‹unverantwortliche Gier› der Manager, ohne Namen zu nennen. Warum?»
Klaus Schwab: «Ich habe zwar keine Namen genannt, aber deutlich gemacht, dass Management ein Beruf ist, der sicher viel Verantwortung mit sich bringt. Doch warum soll ein Topmanager besser verdienen als ein Topchirurg, von dem wir ja auch Bestleistungen erwarten? Die Verknüpfung von Managervergütung und Gewinn ist, als ob wir dem Chirurgen eine Prämie für den Erfolg der Operation zahlen würden.»

Klaus Schwabs geschmeidige Diskretion hat Gründe. Wer will schon seinen Geldgebern die Laune verderben. Denn finanziert wird das WEF von tausend Firmen mit mindestens einer Milliarde Dollar Umsatz. Gewöhnliche Mitglieder bezahlen jährlich 60’000 Franken an ihren Privatclub, die strategischen Partner 600’000 Franken.

Unverbindlich in Sachen Namensnennung muss Klaus Schwab auch in Sachen Umweltschutz bleiben. Obwohl ihm dieser ganz besonders am Herzen liegt und er schon 1987 in der «New York Times» vor der «global warming» gewarnt hatte. Doch etliche seiner Sponsoren gehören zu den grössten Umweltverschmutzern der Welt. Dow Chemical Company sorgte in Bhopal für die folgenreichste Chemiekatastrophe der Geschichte. Volkswagen verpestet mit seinem Diesel die Welt, Shell zerstört Nigerias Natur und Chevron die Regenwälder Ecuadors.

Die ideale Müllabfuhr

Keine Scheu vor Namensnennungen zeigte die Forum-Gegenveranstaltung Public Eye on Davos. Jedes Jahr verlieh sie einem besonders üblen Umweltverschmutzer oder Menschenrechtsverletzer ihren Schmähpreis «Public Eye Award». Lange hatte Klaus Schwab versucht, das Geschrei der linken und grünen Aktivisten zu überhören. 2001, auf dem Höhepunkt der Demonstrationen, liess sich eine direkte Begegnung nicht mehr vermeiden. Die Polizei hatte alle Züge nach Davos gekappt, die Einheimischen stellten Jauchefässer zur Bekämpfung der linken Barbaren bereit. Die Veranstaltung hiess «Ethik und Macht in der Wirtschaft» und fand im Davoser Kirchgemeindehaus statt. Klaus Schwab sass im blauen Blazer und mit dem durchgedrückten Kreuz eines Herrenreiters auf dem Podium und stemmte die Faust ins Gesicht, dass die Goldrandbrille in bedenkliche Schieflage geriet. Selbst in der hintersten Reihe war zu sehen, dass er hier weit unter seinem Wert sass. Schwer zu sagen, ob er mehr unter der Aufforderung eines Zuhörers litt, Psalm 126 zu lesen, oder aber unter der Frage der grünen Nationalrätin Pia Hollenstein, warum denn niemand die Ausrottung tibetischer Kultur mit Business verknüpfe.

Seither dürfen NGOs wie Greenpeace an WEF-Veranstaltungen mitmachen. Nicht immer zu ihrer Zufriedenheit. Mal werden ihre Anlässe nur versteckt im Programm angekündigt, mal ganz vergessen. Auch bleibt nur selten ein interessierter Topshot an ihrem Stand stehen. Kommt es trotzdem zu einem Austausch mit den Mächtigen, loben Letztere im Anschluss erst die hohe Qualität der Diskussion und lassen danach nichts mehr von sich hören.

Wer sich freilich durch Klaus Schwabs Texte kämpft, staunt, wie nah sich im Grunde der Manager-Flüsterer und die NGOs stehen. Wenigstens theoretisch. Beide wollen mehr Gerechtigkeit für Arme, beide verdammen die Gier der Manager, beide kämpfen gegen die Globalisierung.

Republik: «1986 haben Sie in der ‹New York Times› erstmals vor der Globalisierung gewarnt. Warum?»
Klaus Schwab: «Mit diesem Artikel vor dreissig Jahren war ich gewissermassen der erste Globalisierungskritiker. Auch wenn die Globalisierung vielen, aber eben nicht allen, mehr Wohlstand gebracht hat, ist sie ohne flankierende Massnahmen nicht haltbar. Das heisst: Sie darf kein absolutes Prinzip sein, sondern muss national und international den sozialen Zusammenhalt bewahren und fördern. Sonst ist die Demokratie in Gefahr, und die ist für mich wichtiger als extreme neoliberale Globalisierung.»

«Ganz Professor – getragen der Ton, würdevoll der Anblick»: Klaus Schwab, Gründer und Präsident des World Economic Forum, begrüsst 2013 die WEF-Teilnehmer in Davos. Laurent Gilliéron/Keystone

Abgesehen vom Inhalt teilen sich Schwab und seine Gegner auch die verschwurbelte Sprache. Dieser Tage lädt «Das andere Davos» zu einem Workshop ein über «Femonationalismus, kulturell und ideologisch analysiert, aber auf seinen materiell-ökonomischen Grundlagen». Klaus Schwab wiederum kleidet seine Forderung nach mehr Solidarität zwischen Arm und Reich in den Satz: «Der Kapitalismus muss inklusiver werden.» Beide Seiten verspüren keinerlei Zweifel. Weder hier noch dort ist ein Tasten nach der Wahrheit zu spüren. Ironie, geschweige denn Selbstironie, sind beiden fremd. Von Klaus Schwab gibts das Bonmot: «Ich weiss, dass ich recht habe. Die Frage ist nur, wann.»

An Frieden ist keine Seite interessiert. Klaus Schwab braucht die Proteste, um seinen Kongress interessant zu machen. Und für die Aktivisten ist der steife, abgehobene Schwab zu sehr willkommene Reizfigur, um Retuschen am Bild des ersten Globalisierungskritikers vornehmen zu wollen. Allein sein würdevolles Einherschreiten auf der Davoser Bühne. Seine Erscheinung, bei der man den Begriff Professor gleich mitdenkt. Zudem glauben sie ihm ohnehin kein Wort.

Ganz Professor ist Klaus Schwab vor allem bei seiner Eröffnungsrede des Kongresses. Getragen der Ton, würdevoll der Anblick. Geduldig hören ihm die Anwesenden zu. Muss halt sein. Ist ihm wichtig. Doch kaum erklingt das Amen, spurten sie los zum wirklich Wichtigen, dem grossen Kunden-Speeddating. Viele Kongressteilnehmer werden danach im Kongresshaus nicht mehr gesehen. Die Tüchtigsten schaffen, im Halbstundentakt, bis zu vierzig Kundengespräche in drei Tagen. Immer geht es um Millionen, häufig um Milliarden.

Republik: «Ihre Warnungen und Mahnungen scheinen die WEF-Teilnehmer weder zu hören noch zu befolgen.»
Klaus Schwab: «Ja, leider liegt es im menschlichen Wesen, mit dem notwendigen Wandel zu warten, bis es zu spät ist. Trotzdem haben wir bewirkt, dass soziale und umweltbezogene Verantwortung in den Unternehmen besser verankert ist.»

Das WEF spricht von «mindestens 25 Projekten», die es zur Verbesserung der Welt angestossen hat. Manche sind zwar hübsch, scheinen aber im Vergleich zum pompösen Aufgebot doch Petitessen. So verwendet eine Kosmetikfirma jetzt recycelten Plastik für seine Shampoo-Flaschen; dieses Jahr will Coca-Cola, unter bestimmten Bedingungen, vielleicht nachziehen. Ankündigungen dieser Art machen sich immer gut. Auch wenn sie oft nur ein Gesetz vorwegnehmen, das früher oder später ohnehin kommt.

Eindeutig bis an die WEF-Wurzeln zurückverfolgen lässt sich nur ein Impfprogramm, das wohl Millionen Kinder vor dem Tod bewahren wird. Und, ja, auch die Lösung für die ideale Müllabfuhr stammt aus Davos. 1991 riet Larry Summers, ehemaliger Weltbankboss, den reichen Ländern, ihren Abfall in armen Ländern zu entsorgen, weil das dort billiger kommt.

Jetzt spinnt er wirklich

Entscheidende politische oder wirtschaftliche Konsequenzen dagegen lassen sich schwer ausmachen. Frappierende Prognosen auch nicht. Im Gegenteil. Vieles, was die in Davos versammelten Koryphäen verkündeten, erwies sich als Irrtum. Forum-Dauergast und Harvard-Professor Ken Rogoff staunt, wie «zuverlässig falsch» die WEF-Experten mit ihren Voraussagen liegen. Die NZZ folgerte nach einem WEF-Marathon ernüchtert: «Es ist ein Irrglauben, dass Wirtschaftsführer genügend kompetent sind.» Und selbst Jürgen Dunsch, FAZ-Korrespondent und Schwab-Biograf, hat heute «genug vom Rummel, genug vom Gegensatz zwischen vollmundiger Weltverbesserungs-Rhetorik und simpler Geschäftsanbahnung und mehrfach irrigen Prognosen».

Das WEF hatte das Platzen der Internetblase 2003 ebenso wenig kommen sehen wie 2008 die verheerende Finanzkrise. Ja, als die ersten US-Banken schon mit Getöse zusammenkrachten, wurden in Davos noch immer Immobilienaktien empfohlen. 2009 warben die Topshots bereits wieder um Vertrauen, und 2010 erklärten sie die Krise für beendet. Da sich die Schere zwischen Arm und Reich trotzdem unaufhaltsam weiter öffnete, erfanden sie dafür das neue Zauberwort: The New Normal. 2015 konnten sich selbst die Vorsitzenden grosser Ölkonzerne den Sturz des Ölpreises nicht erklären. Und 2016 stellten die Profis Trump als Clown dar und beteuerten, ein Brexit sei unmöglich.

Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman erklärt die Blindheit der globalen Elite mit deren «wurzellosem Kosmopolitentum»: Wer die Welt nur aus verdunkelten Limousinen und Luxushotel-Fenstern betrachtet, verliert jeden Bezug zur Wirklichkeit.

Republik: «Das Thema Ihres ersten Davoser Kongresses 1971 lautete: ‹Überlegenheit der amerikanischen Managermethoden›. Glauben Sie noch immer an die Überlegenheit der Amerikaner?»
Klaus Schwab: «Heute, im Zeitalter der vierten technologischen Revolution, sind weniger die Management-Methoden ausschlaggebend denn die Innovationskraft eines Betriebes. Wir leben in der Ära des Talentismus und nicht mehr in der Welt des Kapitalismus.»

2012 machte er das Ende des Kapitalismus sogar zum Kongressthema. Die Hardcore-Manager glaubten, sich verhört zu haben. Im leichten Konversationston versuchten sie, die Peinlichkeit wegzuscherzen: «Der Kapitalismus ist vielleicht das schlimmste System, mit Ausnahme aller andern.» Doch schon beim ersten Martini in der Kongressbar waren sie sich einig: «Der Schwab wird allmählich alt.» Und: «Jetzt spinnt er wirklich.»

Bislang hatten die Industrie- und Bankbosse sein Weltverbessertum nicht ernst genommen. Geschweige denn wollten sie den Managerschwur nachsprechen, zu dem er sie aufforderte: «Ich diene der ganzen Gesellschaft.» Für sie war er der Portier, der die Bühne fegte, den Vorhang für ihren Auftritt zog und sich freute, den Grossen nah sein zu dürfen. Doch jetzt wurde klar: Es war ihm ernst. 2013 legte er mit seiner Kritik an den Managergehältern noch nach.

Weit professioneller, präziser und informativer als die vagen Aussagen seines Chefs sind die Forum-Newsletter von Adrian Monck. Manche Artikel könnten geradeso gut in der WOZ oder im «Guardian» stehen. Auf unterhaltende Art bringt es der ehemalige Fernsehkommentator auf den überraschenden Punkt: Im Jahr 2020 gibt es mehr Plastik als Fische im Meer. Oder: Geschieht nicht etwas, dauert es 217 Jahre, bis die Frauen die gleichen Jobchancen haben wie die Männer.

Republik: «Driftet das WEF nach links, während sich die Managerwelt nach rechts bewegt?»
Klaus Schwab: «Heute ist links und rechts mehr überlagert durch die neue Polarisierung zwischen den Menschen, die dem Wandel und der Welt gegenüber aufgeschlossen sind, und denjenigen, die sich lieber abschotten.»

Niemand wehrt sich so entschlossen gegen neue Entwicklungen wie die Managerkaste. Anpassung ist alles und Neues gefährlich. Als Mark Zuckerberg 2005 in Davos auftauchte, wusste keiner der Entscheidungsträger, was Facebook war. Als Klaus Schwab 2016 «Die Bewältigung der vierten industriellen Revolution» zum Konferenzthema machte, hörte kaum ein europäischer Entscheidungsträger Facebook-Chefin Sheryl Sandberg und Microsoft-Chef Satya Nadella zu. Künstliche Intelligenz, Roboter und Digitalisierung? Viel zu kompliziert. Dafür liefen die Europäer auf dem Podium «Digitalisierung – Fluch oder Segen?» zu Höchstform auf. Klaus Schwab wunderte sich in der FAZ laut, wie saturiert und träge die europäische Manager-Elite doch angesichts einer Entwicklung ist, die in wenigen Jahren unsere Arbeitswelt auf den Kopf stellen wird.

Jagd auf das Grosswild

Rügen muss er freilich auch die Davoser. Bescheidenheit, Freude beim Dienen und speditives Gehorchen haben nachgelassen. Klaus Schwab sah sich gezwungen, seine hochkarätigen Gäste im Voraus vor den Zuständen im Bergkaff zu warnen: «Davos hat keine echten Luxushotels. Die Atmosphäre der erzwungenen Bescheidenheit ist ein wesentlicher Faktor.»

Damit nicht genug. Die Einheimischen sind gierig geworden. 47 Jahre WEF haben sie gelehrt: Marktwirtschaft ist alles, die Nachfrage bestimmt den Preis. Was die Millionen-Boni der Kongressteilnehmer, ist für die Taxis der 50-Franken-Kurzstrecken-Tarif, für die Cafés die 8 Franken pro Espresso, für die Restaurants die 49 Franken pro Hamburger und für Hoteliers die Verdopplung des Übernachtungspreises. Der einst in einem Rahmenvertrag festgelegte Aufschlag von höchstens 10 bis 20 Prozent ist ihnen so egal wie Trump seine Tweets von gestern.

Völlig frei in ihrem Preisgebaren fühlen sich die Wohnungs- und Geschäftsbesitzer. Viele Mietverträge fordern in einem Passus, dass das Objekt in der letzten Januarwoche für Kongressgäste zu räumen sei. Als Folge werden 6-Bett-Wohnungen für 2500 Franken pro Nacht und eine Einzimmerwohnung für 15’000 Franken pro Woche angeboten. Wie letztere aussieht, kann man im Internet besichtigen. Die Möbel scheinen aus dem Sperrmüll gefischt, einladend steht der Putzschrank offen.

Dass solche Preise den Ruf des Ortes schädigen könnte, ist den meisten grossen Häusern egal. Sie gehören internationalen Ketten und werden aus fernen Zentralen gesteuert; Davos hat sein Familiensilber längst verscherbelt. Nur in den einheimischen Morosani-Hotels ist noch alles wie früher. «Bei mir kostet der Kaffee auch jetzt 4.50 Franken», sagt Toni Morosani. «Und der Übernachtungsaufschlag entspricht ungefähr der Zulage, die Genf während des Autosalons verlangt.»

Republik: «Was unternehmen Sie gegen die schwarzen Schafe?»
Klaus Schwab: «Wir denken darüber nach, unter gewissen Umständen Anzeige wegen Wucher zu erheben, da hier offensichtlich eine Art Monopolstellung ausgenützt wird. Denn wir hören von Übernachtungspreisen, die bis zum Zehnfachen über dem liegen, was selbst in der Hochsaison gefordert wird.»

«Die Tüchtigsten schaffen, im Halbstundentakt, bis zu vierzig Kundengespräche in drei Tagen»: Geschäftemacher am WEF, 1997. Carl De Keyzer/Magnum/Keystone

Noch mehr als diese Profiteure nerven Klaus Schwab die Trittbrettfahrer. Consulting- und Immobilienfirmen, Investmentbanken und Tourismusbehörden machen während des WEF Jagd auf das herumstreunende Grosswild. «Wir betrachten diesen Wildwuchs von Veranstaltungen, die nichts mit dem offiziellen WEF-Programm zu tun haben, mit zunehmender Sorge. Er belastet die Infrastruktur und ist schuld daran, dass die Davoser Bevölkerung das Jahrestreffen zunehmend als Fremdkörper empfindet.»

Die meisten hüten sich, offen zu schimpfen. Jeder hat in seinem weitverzweigten Clan mindestens einen Verwandten, der vom Rummel profitiert. Einzig der Bündner SP-Präsident Philipp Wilhelm veröffentlichte ein missbilligendes Statement. Andere hissten schon Tage vor Kongressbeginn US-Flaggen. Einer anerbot sich gar, den Golfplatz freizuschaufeln, sollte es Trump nach einer Runde gelüsten.

Das Unterland steht den Davoser Bücklingen nicht nach. Adolf Ogi empfiehlt, sich in Mitteilungs-Häppchen «von 10 bis 25 Sekunden» (Trumps Aufmerksamkeitsspanne) zu üben, um dem amerikanischen Präsidenten die Schweiz und ihre Errungenschaften zu erklären. Medien, die bisher Hohn und Spott über Trump ausgossen, schreiben, geschmeichelt, gefühlige Willkommenskolumnen. Die Tourismusbehörden rechnen Trumps Besuch in Werbeflächen um und kommen auf geschenkte dreissig Millionen Franken. Und fünf Bundesräte packen schon ihre Koffer. Endlich mal am Tisch der Grossen sitzen! Abends werden sie, den Glanz der gehabten Begegnungen noch im Auge, in Fernsehkameras sprechen und den Kongress mit so viel Flitter behängen wie im Monat davor den Christbaum.

Ebenso glücklich macht das WEF die 250 Medienvertreter. Letztes Jahr durften sie gar Pizza essen mit Clinton. Jetzt stehen sie bereit, jede Null-Aussage der Mächtigen festzuhalten und sich nach den Brosamen zu bücken, die als Herrschaftswissen vom Tisch der Grossen fallen. Können sie ihren Promi zwecks Interview gar in Sonne und Schnee locken, ist ihr Tag gerettet.

Verbesserung der Welt, jetzt!

Zurück nach Cologny. Bei unserem Besuch vor zwei Wochen hatte das Haus vor Aufregung gebrummt wie ein Bienenstock vor dem Ausschwärmen der Königin. Klaus Schwab pflegt seinen ganzen Hofstaat, 500 Leute, zum jährlichen Hochamt nach Davos mitzunehmen.

Jetzt, um zwölf Uhr mittags, standen die Mitarbeitenden zum Mittagessen vor der Kantine an. Sie sahen nicht aus, als kämen sie von der Arbeit. Entspannt und fröhlich wie Besucher nach einem Popkonzert redeten und lachten sie durcheinander. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 35. «Klaus Schwab mag keine Bedenkenträger, Schwarzseher und Motzer», sagte einer seiner Angestellten. Über der Warteschlange hingen Fotos. Sie zeigten Schwabs Hausheilige: Friedens- und Literaturnobelpreisträger, Lichtfiguren wie Nelson Mandela und Yehudi Menuhin, Muhammad Ali und Kofi Annan, Bill Gates und Bill Clinton.

In der Kantine leuchteten die Teller bunt wie auf einem südlichen Markt. Das meiste war bio und aus der Umgebung. Ein Teller hiess «Table for two». Er kostet zehn Rappen mehr; das WEF verdoppelt den Betrag, und schon kann sich in einem Drittweltland ein Mensch satt essen.

Republik: «Welches ist Ihre beste und welches Ihre schwierigste Seite?»
Klaus Schwab: «Ich bin offen für alles und sehr ungeduldig.»

Offensichtlich ist es die Ungeduld, die ihn – des Wartens und vergeblichen Predigens müde – dazu brachte, die Verbesserung der Welt im eigenen Betrieb anzugehen. Und zwar subito. Paradise now! Alles, was er schon 1971 in seinem Stakeholder-Konzept forderte, hat er hier verwirklicht: Sein Gehalt ist nur zwanzigmal höher als das kleinste Gehalt im Betrieb, nämlich eine Million Franken im Jahr. Die Hälfte seines Kaders ist weiblich. Die Parkplätze hat er, wie ein grüner Stadtrat, erstens verknappt und zweitens kostenpflichtig gemacht. Mit den Einnahmen, 75 Franken pro Fläche, bezahlt er die Abos derjenigen, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Zuschüsse gibts auch auf Fitnessabos. Selbst im Garten herrscht Rauchverbot. Persönlich hält er sich mit Schwimmen und Joggen in Schuss. «Mit seinen 79 Jahren ist Herr Schwab doppelt so fit wie diejenigen, die halb so alt sind», konnte man kürzlich lesen.

Klaus Schwab veranstaltet eine Weihnachtsparty für die Kinder seiner Leute, erkundigt sich bei der Putzfrau nach ihrem Befinden, vergisst keinen wichtigen Geburtstag und schickt Blumen ins Spital. «Und er hat Humor!», ergänzte ein WEF-Mitarbeiter beim Mittagessen. Am 1. April schreibt er regelmässig ein Memorandum, auf das immer wieder ein paar reinfallen. Mal erklärt er ein trockenes Schwimmbad für eröffnet, mal kündigt er Spürhunde an, die in Schreibtischen nach Alkohol und andern Drogen schnüffeln.

«Doch, doch», beteuerte der Mitarbeiter. «Er kann lustig sein.» Dann schoben er und seine beiden Kollegen so lange am Handy herum, bis das gesuchte Bild – «Da!» – auf drei Screens gleichzeitig erschien. Aber man mag gar nicht hinschauen. Das kann ja nicht wahr sein. Das glaubt einem kein Mensch. Da stand Professor Klaus Schwab im Nikolaus-Kostüm mit roter Zipfelmütze in der Kantine und schaufelte, sichtlich vergnügt, so etwas wie Risotto auf die Teller seiner Leute.

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