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Binswanger

Nein heisst Ja

Populistische Propaganda läuft über paradoxe Kommunikation. Das ist politisch effektiv, aber schlecht für die Gesundheit. Es zeigt sich an der US-Steuerreform. Und an No Billag.

Von Daniel Binswanger, 13.01.2018

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Vieles ist möglich, aber alles hat seinen Preis. Das ist leider ein Faktum. Man kann nicht «de Foifer und s Weggli» haben, die Münze behalten und das Brötchen bekommen. Ein richtiger Eidgenosse wird mit der metaphysischen Wahrheit, dass etwas nicht gleichzeitig sein und nicht sein kann, eben hauptsächlich deshalb konfrontiert, weil sich Geld nicht gleichzeitig ausgeben und sparen lässt. «You can’t have your cake and eat it, too» heisst es in Grossbritannien.

Doch in der Politik geht es ständig um die Frage nach dem Fünfer und dem Weggli – das heisst, es geht nicht nur um die Frage, was man will, sondern auch darum, wie viel man dafür zu zahlen bereit ist. Politik wird bestimmt von Kosten-Nutzen-Rechnungen, Gegengeschäften, Trade-offs. Umsonst bekommt man nichts.

Allerdings ist es für die Politik eine ständige Versuchung, Trade-offs zu verschweigen und beides zu versprechen, den Fünfer und das Weggli. Verführungsmacht hat, wer mit der Behauptung durchkommt, dass gleichzeitig ganz viel Geld ausgegeben und ganz viel Geld gespart werden kann. Doch je häufiger diese Behauptung gemacht wird, desto irrationaler wird die Politik. Wir leben in einer Zeit, in der Schlaraffenland-Versprechen eine wilde Konjunktur erleben. Und sie nehmen immer primitivere Formen an.

Man nehme die amerikanische Steuerreform. Das Gesetz bringt Steuersenkungen für Unternehmen und Steuererleichterungen, die vornehmlich die obersten Einkommensschichten begünstigen – und wird von der konservativen Presse als «Jahrhundertreform» gefeiert. Das ist erst mal nicht überraschend: Steuersenkungen für Millionäre sind zur heiligsten Mission der Republikanischen Partei geworden. Verblüffend ist jedoch, wie die Konservativen die Reform rechtfertigen. Sie behaupten ganz einfach, das Gesetz werde in seiner jetzigen Form niemals angewendet.

Die Steuererleichterungen für die Unterschicht, die nach dem heutigen Text in ein paar Jahren wieder aufgehoben werden müssen? Werde man durch spätere Beschlüsse permanent machen. Drohende Defizite? Seien ebenfalls unbedenklich, denn auch im Fall steigender Schulden werde das Gesetz zu einem späteren Zeitpunkt korrigiert. Ein «Jahrhundertgesetz» wird dadurch legitimiert, dass man es morgen in sein Gegenteil verkehren will.

Warum diese Verrenkungen? Zum einen hat das staatsrechtliche Gründe. Die Byrd-Regel schreibt fest, dass im Senat eine Mehrheit von 51 Stimmen genügt, falls durch ein neues Gesetz das Defizit binnen zehn Jahren um nicht mehr als 1500 Milliarden steigt und jenseits dessen kostenneutral bleibt. Aus diesem Grund werden die Steuererleichterungen für die Unterschicht nach ein paar Jahren wieder aufgehoben (diejenigen für die oberen Einkommenskategorien sind permanent).

Zum zweiten geht es um ein politisches Schwarzer-Peter-Spiel: Sollten in ein paar Jahren die Demokraten an der Macht sein und die Aufhebung der Steuererleichterungen verhindern, werden die Republikaner sie für ihre «unverantwortliche Budgetpolitik» denunzieren. Wer Gesetze nicht zum Wohl der Allgemeinheit erlässt, sondern mit dem Ziel, dem politischen Gegner zu schaden, hat ein Interesse daran, Dinge zu beschliessen, die hinterher korrigiert werden müssen.

Drittens können mit einer solchen Strategie die Absichten verschleiert werden. Sollte sich das Defizit infolge der Steuersenkungen stark vergrössern – was praktisch zwingend ist –, werden die Republikaner das zum Grund erklären, die Staatsausgaben zu senken. Dass sie mit ihren Steuersenkungen den Finanznotstand, der unpopuläre Sparprogramme unausweichlich machen soll, aktiv herbeiführen, wollen sie aber auf keinen Fall offen zugeben. Sie spielen lieber vor, es werde gar nie so weit kommen.

Machtpolitisch können solche Winkelzüge aufgehen. Doch sie zerstören den öffentlichen Diskurs. Wenn Politiker stur behaupten, ein Gesetz bewirke das Gegenteil von dem, was drinsteht; wenn eine Steuererhöhung verkauft wird als eine Steuersenkung; wenn die Sonne zum Mond und die Nacht zum Tag erklärt wird, kann eine vernünftige Auseinandersetzung nicht mehr stattfinden.

Und schlimmer noch: Es macht die Leute verrückt.

Paradoxe Kommunikation ist psychologisches Gift. Der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson hat mit seinen Forschungen zu doppelbödigen Botschaften, zu «double binds», gezeigt, dass man Menschen durch Zweideutigkeit schlichtweg in den Wahnsinn treibt. Eine Mutter, die sagt: «Ich liebe dich», doch mit ihrer Körpersprache und ihrem Verhalten zu verstehen gibt: «Ich hasse dich», kann bei ihrem Kind eine Psychose auslösen.

Was also geschieht mit der öffentlichen Meinung, was geschieht mit der demokratischen Entscheidungsfindung, wenn sie permanent durch paradoxe Doppelbotschaften verwirrt wird? Es ist eine Frage, die sich zunehmend auch in der Schweiz stellt. Im Rahmen der No-Billag-Kampagne werden «Foifer und s Weggli»-Versprechen mit bisher unbekannter Dreistigkeit gemacht.

Der Slogan der Pro-No-Billag-Kampagne, nämlich «Ja SRG: No-Billag Ja», ist nur schon durch seine Ja-Nein-Ja-Verschachtelung ein doppelt geknotetes Paradox, das einen unsicher lässt, ob die Kampagne von Kommunikationsprofis oder von bekifften Hegelianern konzipiert worden ist. Ja-Nein-Ja? Alles klar: Das kann nur bedeuten, dass die SRG bejaht werden muss. Oder dass man sie verneinen und zerstören will. Oder dass beides dasselbe ist?

Der sogenannte Plan B zur Finanzierung der SRG, den der Gewerbeverband entworfen hat, besteht aus entsprechendem Propagandageschwätz. Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler hat vor zweieinhalb Jahren bei der RTVG-Revision eine Abstimmungskampagne gegen die SRG geführt, die zu den vulgärsten, schmutzigsten und verlogensten Propaganda-Aktionen der jüngeren Schweizer Geschichte zählen dürfte. Die Kernbehauptung war, dass die Rundfunkgebühren zwingend auf 1000 Franken steigen würden. Jetzt tritt er auf als objektiver Rundfunkexperte und Freund der SRG. Alles kein Problem: In der magischen Welt des «double bind» sagen Lügner die Wahrheit.

Deshalb plädiert der Gewerbeverband nun für Informations-Pay-TV. Das gibt es zwar nirgendwo auf der Welt und existiert gar nicht als Geschäftsmodell, aber in der Schweiz soll es plötzlich die offensichtliche Lösung sein. Zudem soll ein attraktives Zusatz-Pay-TV-Programm geschaffen werden, potenziell mit Sport. Das wäre machbar – aber nur zu Abonnementkosten, die ein Vielfaches über der heutigen Billag-Gebühr lägen. In anderen europäischen Ländern kostet Sport im Pay-TV schnell einmal gegen 100 Franken pro Monat. Zudem soll eine «vom Staat befreite SRG» auch viel höhere Werbeeinnahmen generieren als heute. Und das, obwohl die Werbeumsätze im Rundfunk sinken und ein privatisierter Sender eine massiv kleinere Reichweite hätte. Es werden fröhlich Ammenmärchen erzählt.

Aber es könnte funktionieren. Es könnte funktionieren, weil der Bürger die Vorstellung liebt, dass er keine Gebühren entrichten muss und trotzdem das beste Fernsehen der Welt erhält. Es könnte funktionieren, weil der infantile Traum, nichts zu bezahlen und alles zu bekommen, niemals totzukriegen ist. Weil die archaischste Form des Schlaraffenlandversprechens in der Behauptung besteht, ein Nein sei ein Ja.

Das also ist der aktuelle Stand des öffentlichen Wahnsinns in der Schweiz. Die Stimmbürgerinnen sind durch Doppelbotschaften so verrückt gemacht geworden, dass eine Bieridee von ein paar libertären Grünschnäbeln das Gesicht des Landes fundamental verändern könnte. Man darf zwar immer noch hoffen, dass es nicht gelingen wird, die SRG zu zerstören. Der Schaden aber, den die immer entfesseltere «Double bind»-Kommunikation in der Öffentlichkeit anrichtet, wird bleiben.

Illustration: Alex Solman

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