Die Storen sind unten – wer hat und wer will den Durchblick bei der CS? Blick auf die Credit-Suisse-Niederlassung in Wädenswil.

Wer fürchtet eine PUK zur Credit Suisse?

Parteichefs von links bis rechts fordern eine parlamentarische Untersuchungs­kommission zum Fall der Credit Suisse. Das heisst aber nicht, dass es dazu kommen wird. Ein Lehrstück über öffentliche Verlautbarungen und geheime Interessenpolitik.

Von Lukas Häuptli, Priscilla Imboden (Text) und Maurice Haas (Bild), 15.05.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
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Acht Tage nach dem geschichts­trächtigen Untergang der Credit Suisse schien alles klar: Die Umstände der CS-Übernahme durch die UBS müssen von einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission (PUK) unter die Lupe genommen werden. Das beschloss das Büro des Nationalrats (das dessen Geschäfte organisiert) am 27. März 2023 in einer eilig einberufenen Sitzung. Einstimmig, wie es in einer Medienmitteilung ausdrücklich festhielt.

Die Einstimmigkeit ist bemerkenswert: Im 13-köpfigen Büro des Nationalrats sind nicht nur alle wichtigen Parteien der Bundes­versammlung vertreten, sondern auch viel wichtiges Personal dieser Parteien, etwa die Fraktions­chefs der SVP, FDP, Mitte, GLP, SP und der Grünen. Bei den Fraktions­chefs der SP, der Grünen und der GLP kam die Zustimmung zu einer PUK kaum überraschend – bei denen der FDP und der SVP dagegen schon. Die FDP stellt mit Karin Keller-Sutter die Finanz­ministerin, die bei der CS-Übernahme durch die UBS feder­führend war; die SVP mit Ueli Maurer ihren Vorgänger.

Wird eine parlamentarische Untersuchungs­kommission eingesetzt, laufen sowohl Keller-Sutter als auch Maurer Gefahr, während Monaten im Zentrum umfassender Unter­suchungen und im Fokus medialer Aufmerksamkeit zu stehen. Das ist kaum, was sie und ihre Parteien sich wünschen.

Aber eben: Am 27. März 2023 sprachen sich alle sechs Fraktionschefs für eine PUK aus. Selbst die NZZ, das Leibblatt von Keller-Sutter, hielt einen Tag später fest: «Im Fall Credit Suisse scheint sie [die PUK, Anm. der Red.] jetzt schon so gut wie beschlossen.»

Das laute Ja der Parteipräsidenten

Mittlerweile sprechen sich zahlreiche weitere Partei­exponenten – auch der Bürgerlichen – für eine parlamentarische Untersuchungs­kommission aus.

So sagt FDP-Präsident Thierry Burkart gegenüber der Republik: «Die FDP will eine gründliche Aufarbeitung der Geschehnisse. Ich gehe davon aus, dass dafür eine PUK nötig sein wird.»

SVP-Präsident Marco Chiesa sagt: «Der Einsetzung einer PUK mit klarem Auftrag steht die SVP-Fraktion offen gegenüber.»

Und Mitte-Präsident Gerhard Pfister sagt: «Im Fall Credit Suisse braucht es eine PUK.»

SP-Co-Präsident Cédric Wermuth, Grünen-Präsident Balthasar Glättli und GLP-Präsident Jürg Grossen hatten schon zuvor eine solche gefordert.

Auch andere namhafte Parlamentarierinnen verlangen eine parlamentarische Untersuchungs­kommission, selbst solche aus dem konservativen Ständerat. Zu ihnen zählen etwa Heidi Z’graggen, Daniel Fässler und Charles Juillard (alle Mitte), Hans Stöckli und Carlo Sommaruga (beide SP) oder Maya Graf (Grüne), wie sie auf Anfrage der Republik erklären. Ihre Stimmen sind deshalb wichtig, weil sie alle in der ständerätlichen Geschäftsprüfungs­kommission (GPK) sitzen. Diese berät zurzeit, ob eine PUK zum Fall Credit Suisse eingesetzt werden soll. Anschliessend wird sie dem Büro des Ständerats einen entsprechenden Antrag stellen.

Warum aber fordern Ständerätinnen und Nationalräte überhaupt eine PUK? Weil eine solche eingesetzt werden soll, «wenn Vorkommnisse von grosser Tragweite der Klärung bedürfen». So steht es in Artikel 163 des Parlaments­gesetzes. «Diese Voraussetzung ist in dieser Sache fraglos erfüllt», sagte Mitte-Ständerat Fässler.

Mitte März wurde befürchtet, dass der Untergang der Credit Suisse eine globale Finanzkrise auslösen könnte. Deshalb sprachen Bundesrat und Nationalbank innert weniger Tage Kredite und Kredit­garantien von mehr als 200 Milliarden Franken. So ermöglichten sie die CS-Übernahme durch die UBS – allerdings auf der Grundlage von Notrecht.

Die Baselbieter Ständerätin Maya Graf sagt: «Die Steuer­zahlenden, die für die zweite Rettung einer Grossbank garantiert haben, sollen erfahren, was wie und wann entschieden wurde. Es braucht Transparenz, dass es mit rechten Dingen zugegangen ist. Und Bundes­behörden wie Parlament müssen aus allfälligen Fehlern lernen können.»

Was kann eine PUK, was die Geschäfts­prüfungs­kommission nicht kann?

Für Untersuchungen über die Tätigkeiten der Behörden sind eigentlich die Geschäfts­prüfungs­kommissionen (GPK) von National- und Ständerat zuständig. Im Vergleich zu diesen hat eine parlamentarische Untersuchungs­kommission (PUK) mehr Mittel und mehr Kompetenzen. So kann eine PUK Einsicht in die Protokolle des Bundesrats nehmen und Zeugen zu Aussagen verpflichten. Sie erhält ein eigenes Sekretariat und wird finanziell besser ausgestattet als die GPK. Auch kann sie einen Untersuchungs­beauftragten einsetzen.

In der Schweizer Geschichte gab es lediglich vier Mal eine PUK: in den Sechziger­jahren eine zu den Kosten­überschreitungen bei der Beschaffung des Kampfjets Mirage (die zum Rücktritt des damaligen Verteidigungs­ministers Paul Chaudet führte). 1989 gab es eine als Reaktion auf den Rücktritt der FDP-Bundesrätin Elisabeth Kopp. Diese PUK führt zur Aufdeckung der Fichenaffäre, zu deren Aufklärung eine weitere PUK gebildet wurde. Zuletzt setzte das Parlament Mitte der Neunziger­jahre eine PUK zu den Missständen bei der Pensions­kasse des Bundes ein.

Was einer PUK noch mehr Nimbus verleiht: Sie hat in der Vergangenheit das Schicksal von Bundesräten besiegelt – und als Sprungbrett in die Landes­regierung gedient. So wurde die Wahl von Bundesrat Moritz Leuenberger auch durch seine vorherige Tätigkeit als PUK-Präsident begünstigt.

Alles klar also: Die PUK zur CS kommt.

Alles klar?

Nein, nicht ganz: Es gibt noch immer Interessen­vertreter, die eine PUK verhindern wollen. Nur sagen sie das nicht.

Sollten diese Interessen­vertreter Erfolg haben, geschähe, was in der Schweizer Politik nicht selten geschieht: Öffentliche Bekenntnisse verflüchtigen sich in den Wirren der Partei- und Partikular­interessen, in den unsichtbaren Geschäften und Gegen­geschäften der Kommissions­politik – und im Verlauf der Zeit.

Am Ende, allen Bekenntnissen zum Trotz, ist dann nichts.

Wie hintertreibt man eine PUK? Die Manöver gehen so:

1. Ich sage Ja und meine: Nein

Klar ist, dass sich am 27. März alle National­rätinnen, die an der Sitzung ihres Büros teilnahmen, für eine parlamentarische Untersuchungs­kommission aussprachen. Unklar ist aber, ob alle dies in der Überzeugung taten, dass es eine solche auch wirklich braucht.

Es gibt nämlich Stimmen, die sagen: Vertreter der FDP und der Mitte seien eigentlich gegen eine PUK gewesen, hätten aber – aus reinen Reputations­ängsten – trotzdem für eine solche gestimmt.

Offenbar wollten sich also FDP- und Mitte-Vertreter unmittelbar nach der milliarden­schweren Rettung der CS nicht als Einzige gegen eine PUK aussprechen. Schliesslich war ihnen bewusst, wie gross die Wut der Bevölkerung über die neuerliche Staats­rettung einer Grossbank war.

Die grüne Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber sagt es so: «Es gibt aus meiner Sicht keine Argumente gegen eine PUK, es gibt aber verschiedene Hindernisse – ausgesprochene und nicht ausgesprochene.» Ausgesprochen werde etwa, dass es länger gehe, bis eine parlamentarische Untersuchungs­kommission eingesetzt werde. «Zum Unausgesprochenen gehört: Karin Keller-Sutter schützen, Ueli Maurer schützen. Aber das will niemand so sagen.»

2. Ich sage Ja und meine: Ja – aber nur unter bestimmten Umständen

Die SVP sprach sich sehr früh für eine PUK aus – und bekräftigte diese Forderung immer wieder. Doch wer nachfragt, stellt fest: Da gibt es Bedingungen. SVP-Präsident Marco Chiesa steht einer PUK wie erwähnt «offen gegenüber». Er konkretisiert aber, seine Fraktion fordere «insbesondere die Aufarbeitung der Rolle der Finanzmarkt­aufsicht im Fall Credit Suisse».

Chiesas Statement offenbart die Strategie der SVP, die Rolle von Ueli Maurer, Finanz­minister von 2016 bis Ende 2022, herunter­zuspielen. Erstens: ablenken und mit Filz-Vorwürfen auf die FDP zeigen. Und zweitens: der Finanzmarkt­aufsicht (Finma) die Schuld zuschieben.

Ueli Maurer fiel als äusserst banken­freundlicher Bundesrat auf. Er selbst sorgte dafür, dass die Finma nicht zu viel Macht erhielt. Und noch im letzten Dezember winkte er ab, als er gefragt wurde, ob wegen der wankenden Credit Suisse eine zweite Banken­rettung anstehe. Man müsse die Credit Suisse, so Maurer, jetzt «ein Jahr oder zwei in Ruhe lassen».

Es ist bezeichnend, dass SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi Mitte April in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF sagte: «Ich glaube, er [Ueli Maurer, Anm. der Red.] ist tatsächlich da von der Finanzmarkt­aufsicht falsch beraten worden. Sonst hätte er im Dezember nicht gesagt, es brauche nun einfach etwas Ruhe für diese Bank.»

Es ist darum keine Überraschung: Die SVP will den Zeitraum, den eine allfällige PUK untersuchen dürfte, so einschränken, dass Ueli Maurer davon möglichst wenig betroffen ist. Das sagen verschiedene Quellen aus dem Parlament.

«Ja, aber», sagt auch FDP-Präsident Thierry Burkart. Sollte es eine PUK geben, «muss insbesondere auch untersucht werden, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die CS gerettet werden muss». Das heisst nichts anderes, als dass der Fokus einer PUK-Untersuchung auf die Amtszeit von Finanz­minister Ueli Maurer gelegt werden soll. Damit würde die freisinnige Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die seit Anfang Jahr dem Finanz­departement vorsteht, aus der Schuss­linie genommen.

Es ist also fraglich, ob FDP und SVP einer PUK auch dann noch zustimmen, wenn deren Auftrag beinhalten sollte, die Rollen von Keller-Sutter und Maurer unter die Lupe zu nehmen.

3. Ich sage: Wichtig ist, dass untersucht wird. Nicht wichtig ist, von wem untersucht wird

Finanzministerin Karin Keller-Sutter zählt zu den grössten Gegnerinnen einer PUK – auch wenn sie das öffentlich bestreitet. Als der «Tages-Anzeiger» (gestützt auf eine Aussage Keller-Sutters in der «Samstags­rundschau» von Radio SRF) schrieb, die FDP-Bundesrätin sei gegen eine PUK, liess sie den Artikel umgehend korrigieren. Darauf fügte die Zeitung im Text einen weiteren Passus ein: «Das Eidgenössische Finanz­departement begrüsst es, wenn es auch eine parlamentarische Aufarbeitung der Ereignisse gibt. Über die Form hat das Parlament zu entscheiden.»

Das aber heisst nichts anderes als: Karin Keller-Sutter plädiert zwar für eine Aufarbeitung des Falls Credit Suisse – aber nicht (oder nicht unbedingt) durch eine PUK. Möglich wäre auch eine Untersuchung durch die Geschäfts­prüfungs­kommissionen des Parlaments.

Ähnlich tönt es bei verschiedenen Parlamentariern aus Keller-Sutters Partei.

Ein weiteres Indiz dafür, dass Keller-Sutter an einer umfassenden Unter­suchung des Falls Credit Suisse nicht interessiert ist: Sie selbst griff vor und beauftragte Finanzmarkt-Professor Manuel Ammann mit Abklärungen zur Regulierung und zum Fall Credit Suisse. Doch Ammann ist alles andere als unabhängig. Erstens ist er von derjenigen Person eingesetzt worden, deren Rolle er als Erstes untersuchen müsste. Und zweitens ist Ammann Akademischer Direktor des Center for Financial Services Innovation, das durch eine Grossbank finanziert wird: die Credit Suisse.

4. Ich spiele auf Zeit

Am 24. März – fünf Tage nach dem Untergang der Credit Suisse und drei Tage bevor das Büro des Nationalrats zusammensass – diskutierte die Geschäftsprüfungs­kommission des Ständerats über die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission. Sie entschied, zunächst eigene Vorabklärungen zu machen und erst danach eine Empfehlung für oder gegen eine PUK abzugeben.

Das bedeutete: Alle gewannen Zeit. Diejenigen, die sich von sorgfältigen Vorabklärungen eine Grundlage für ein späteres Ja des Ständerats erhoffen. Aber auch und vor allem diejenigen, die diese Pläne gezielt hintertreiben wollen. Denn das zeigt die Erfahrung: Zeit ebnet grosse politische Projekte fast immer ein – nicht selten vollständig.

In den nächsten Tagen fallen aller Voraussicht nach wichtige Vorentscheide, ob es tatsächlich zu einer Credit-Suisse-PUK kommt oder nicht.

Heute Montag oder morgen Dienstag dürfte die Geschäfts­prüfungs­kommission des Ständerats eine entsprechende Empfehlung abgeben. Dabei könnten durchaus auch persönliche Ambitionen eine Rolle spielen. Der eine oder andere Ständerat sähe sich gern gleich selbst als Präsident einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission.

Voraussichtlich übermorgen Mittwoch dann wird das Büro des Ständerats für oder gegen eine PUK entscheiden. Es dürfte sich dabei auf eine allfällige GPK-Empfehlung stützen.

Spannend wird es vor allem dann, wenn die GPK keine Empfehlung abgibt. Dann hängt die Entscheidung von den sechs Mitgliedern des ständerätlichen Büros selbst ab. Von diesen ist Lisa Mazzone (Grüne) für eine PUK. Die anderen fünf Mitglieder wollten sich gegenüber der Republik nicht festlegen. Es sind dies Eva Herzog (SP), Werner Salzmann (SVP), Andrea Caroni (FDP), Stefan Engler (Mitte) und Brigitte Häberli-Koller (Mitte). Bei einem allfälligen Patt könnte Letztere als Ständerats­präsidentin den Stichentscheid fällen.

Danach geht das Geschäft zurück in den Nationalrat (dessen Geschäfts­prüfungs­kommission sich schon am 31. März «grundsätzlich» für eine PUK ausgesprochen hatte).

Definitiv beschliessen werden National- und Ständerat die Einsetzung einer parlamentarischen Credit-Suisse-Untersuchungs­kommission frühestens in der Sommer­session, die von Ende Mai bis Mitte Juni dauert.

Bis dahin scheint vordergründig alles klar. Im Hintergrund aber weibeln die Verhinderer weiter.

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