Freitag, 3. März 2023

Willkommen im Wochenende.

Roger Köppel tritt per Ende Legislatur aus dem Nationalrat zurück. Dort hat der SVP-Politiker weniger Spuren hinterlassen, als man ihm vor seiner Wahl im Jahr 2015 zugetraut hatte.

Meinung

Der «Geisterfahrer» bläst zur Attacke

Als Roger Köppel im Februar 2015 bekannt gab, in die Politik einsteigen zu wollen, tat er das nach eigenem Bekunden nicht ganz freiwillig. Der Entscheid habe sich ihm «aufgedrängt», sagte er, die falsche Politik des Parlaments und des Bundesrats habe ihn zur Kandidatur gezwungen. Man fühlte sich an Christoph Blocher, sein grosses Vorbild, erinnert: Auch dieser hatte stets von einem übernatürlichen «Auftrag» fabuliert.

Ein gutes halbes Jahr später wurde Köppel mit einem Rekord­ergebnis in den Nationalrat gewählt. Die Vorschuss­lorbeeren waren gewaltig: Sogar in ausländischen Zeitungen galt der Zürcher als «neuer Taktgeber der SVP».

Hat Köppel die hohen Erwartungen, seinen Auftrag erfüllt? Selbst behauptet er das. Er sei erleichtert, habe er das Hauptziel seines politischen Wirkens erreicht, schreibt er: «Die Verhinderung der institutionellen Unterwerfung der Schweiz unter die EU durch einen Rahmenvertrag».

Doch wahr ist das Gegenteil: Köppel hat es nie geschafft, im Parlament zu einer bedeutenden Stimme zu werden. Zu zahlreich waren seine Abwesenheiten, zu selten und zu erfolglos waren seine politischen Vorstösse. Zu entrückt war sein Interesse, das stets nur den grossen Linien gilt und nie der so komplexen wie mühsamen Kommissions­arbeit.

Auch in der SVP-Fraktion hatte Köppel kaum Unterstützung. Meist sass der 57-Jährige allein an einem Tisch in der Wandel­halle am Computer, in einer Ecke, in der sich ausser ihm vor allem FDP-National­räte tummeln. Eindrücklicher Beleg für seinen inexistenten Einfluss: Im vergangenen Herbst wollte er mittels «Weltwoche»-Kampagne die Wahl Albert Röstis in den Bundesrat verhindern – ohne jeden Erfolg.

Dass er im Parlament nichts erreichen kann, hat Köppel gemerkt. Deshalb ergibt sein Entschluss, im Herbst nicht nochmals anzutreten, Sinn.

Und deshalb ist sein Rücktritt weniger ein Abschied als ein neuer Start­schuss: Nun, da er sich bald wieder ganz auf seine publizistischen Aktivitäten konzentrieren kann, dürfte er die «Weltwoche» noch schriller aufstellen. Und sie noch stärker als bisher auf den gesamten deutsch­sprachigen Raum ausrichten. Denn kommerziell funktioniert das Modell bisher nicht, weshalb Köppel weder vor auffallender Nähe zur chinesischen Botschaft noch vor Schleichwerbung zurückschreckt. Seit zwei Jahren bezieht er sogar die von ihm öffentlich bekämpfte indirekte Presseförderung.

Köppel muss das Ruder herumreissen, schliesslich braucht «der Geisterfahrer» und «Pyrotechniker» die «Weltwoche», um sein Sendungs­bewusstsein auszuleben und den öffentlichen Diskurs zu prägen. Wenn man ihn kennt und beispielsweise vor einer Woche gelesen hat, wie er offen bezweifelt, ob Russlands Angriffs­krieg in der Ukraine völkerrechtswidrig ist, weiss man: Sein Rezept lautet Attacke. Für die politische Kultur der Schweiz sind das keine guten Aussichten.

Von einem Geist im Parlament zu einem Geist in den Gassen. Respektive den Medien.

Nichts als Gespenster

113 Beiträge in 61 Tagen. So viele Einträge findet die Schweizer Medien­datenbank, wenn man nach Berichten sucht, die seit Anfang Jahr erschienen sind und sowohl das Wort «woke» als auch «Fasnacht» enthalten. Im Schnitt sind das beinahe zwei Artikel pro Tag.

Viele von ihnen tragen Titel wie «Fasnacht gegen ‹woke›», «Fasnacht im Woke-Check» oder «Angriff der Woke-Kultur auf die Narrenfreiheit». Sie kommen von «Basler Zeitung», NZZ, Nau.ch, «Weltwoche», «Nebelspalter», «Blick», SRF und anderen. Und sie behandeln nicht die Realität, sondern ein Gespenst.

Das merkt man daran, dass diese Medien­berichte zwar allerlei Schreckens­szenarien in den Raum stellen (man lasse die oben genannten Titel noch einmal wirken), aber allesamt daran scheitern, konkrete Schweizer Beispiele für ihre Thesen zu finden. So betitelt die SRF-«Rundschau» ihr Segment zum Thema mit «Winnetou unerwünscht» und fragt im Begleit­text rhetorisch «Wird die Fasnacht zur Woke-Kampfzone?». Nur um dann 15 Minuten lang niemanden zu finden, der tatsächlich der Meinung ist, Winnetou-Verkleidungen seien an der Fasnacht unerwünscht.

Andere greifen sogar auf Falsch­informationen zurück, um das Gespenst konkreter zu machen. So schreibt die «Basler Zeitung» von einem «Shitstorm», der vergangenes Jahr gegen einen Winnetou-Film getobt habe, weil Kritikerinnen zum Boykott aufgerufen hätten. Wer sich an der Realität orientiert, weiss: Der deutsche Fernseh­sender ARD hatte den Film schon zwei Jahre zuvor aus dem Programm genommen. Wegen abgelaufener Lizenzen. Die Aufregung im letzten Jahr entstand nicht wegen eines Boykotts, sondern gerade weil fälschlicherweise behauptet wurde, der Film würde aus politischen Gründen nicht mehr gezeigt.

Zweifellos ist an vielen Fasnachten vieles problematisch. In der Vergangenheit und auch dieses Jahr kam es zu rassistischen Vorfällen. Und eigentlich ist es ja entlarvend, wenn Diskussionen über problematische Kostüme geführt werden, ohne dass irgendjemand sagt, welche Kostüme genau problematisch sind. Es zeigt, dass auch jenen genau klar ist, wo diskriminierende Untertöne beginnen, die besonders laut sagen, man wisse ja gar nicht mehr, was man noch tun dürfe und was nicht.

Ja, vielleicht ist es gar nicht nur schlecht, wenn ein Dutzend Medien in zehn Dutzend Berichten darüber reden, was eigentlich angebracht ist und was nicht. Nur etwas weniger Panik und etwas mehr Realitäts­bezug würden gut­tun.

Weiter im Tarnanzug: Republik-Autorin Priscilla Imboden zur Frage der Stunde beim Schweizer Militär: Brauchen wir mehr oder weniger Soldaten?

Update

Dienst­pflicht kürzen, aber Zivildienst schwächen?

Das Verteidigungs­departement VBS reagiert auf den Bericht der Republik, der im Dezember aufgedeckt hat, dass die Schweizer Armee zu gross ist: Der Armee­bestand ist höher als die gesetzlich zulässige Obergrenze von 140’000 Militär­angehörigen.

Nun soll die Militärdienst­pflicht von zwölf auf zehn Jahre verkürzt werden. Die kürzere Dienstpflicht war wegen der zu stark wachsenden Armee sowieso auf Ende Jahrzehnt geplant. Nun will sie das VBS bereits auf Beginn des nächsten Jahres umsetzen. «Dadurch wird der zulässige Bestand erreicht», sagt Armee­sprecher Daniel Reist.

Doch während sich das VBS daranmacht, in einer Hauruck­übung den gesetzes­widrigen Überbestand in der Armee zu senken, tut das Parlament das Gegenteil. Es möchte den «Armee­bestand mittels Massnahmen beim Zivildienst stärken», wie eine gleichnamige Motion der SVP-Fraktion verlangt. Sie will den Zivildienst unattraktiver machen. Der Nationalrat hat den Vorstoss bereits angenommen, der Ständerat stimmt am Montag darüber ab.

«Zu viele Leute gehen in den Zivildienst, obwohl sie keine Gewissens­gründe haben», erklärt SVP-Sicherheits­politiker Werner Salzmann. «Wir müssen schauen, dass der Bestand der Armee gesichert wird.» Er beruft sich auf die Prognosen des VBS, das unbeirrt für die Zukunft einen Mangel an Militärs prognostiziert, obwohl die Armee stetig wächst.

Die grüne Stände­rätin Lisa Mazzone sagt: «Schon heute hat die Armee einen rechtswidrigen Überbestand. Trotzdem warnt sie seit Jahren, dass es nicht genügend Männer gäbe. Doch das hat sich nie erfüllt.» Mazzone findet es zudem fragwürdig, dass mit dem Vorstoss Massnahmen eingeführt werden sollen, die vor nicht einmal drei Jahren vom Parlament abgelehnt wurden. «Zivis arbeiten in den Schulen, den Spitälern, den Heimen, helfen in jeder Krise aus, gestern während der Pandemie, heute bei den Flüchtlingen. Es wäre an der Zeit, das anzuerkennen, statt den Zivildienst infrage zu stellen», sagt Mazzone. Gewisse Kreise im Parlament nutzten den Krieg in der Ukraine, um ihre militaristischen Wünsche schamlos durchzudrücken.

Interessant ist dabei: SP-Ständerat Daniel Jositsch, Mitglied der Sicherheits­kommission, ist für die SVP-Motion. Weshalb, bleibt sein Geheimnis: Für eine Stellung­nahme war er nicht erreichbar.

Die Schweizer Armee ist grösser als erlaubt

Das Verteidigungs­departement klagt immer wieder, das Militär habe nicht genug Soldaten. Doch die Zahlen zum Armee­bestand zeigen das Gegenteil. Ab dem neuen Jahr ist dieser Zustand sogar rechtswidrig.

Auch in der Region Bern, aber nichts mit Politik und Militär: Ein Kultur­tipp fürs Wochen­ende.

Ins Wochenende

Was tun? Auf nach Thun!

Seit mittler­weile fast zwei Jahr­zehnten bringt die «Literaare» zuverlässig gute Literatur und ihre Autorinnen in die Thuner Altstadt. Dieses Wochen­ende findet die 18. Ausgabe des jährlichen Festivals statt, am Samstag wird es im Rathaus mit einer Lesung von Daniela Dröscher aus ihrem Roman «Lügen über meine Mutter» eröffnet, Gwendolyn Masin spielt Geige solo.

Am Samstag und Sonntag geht das Programm dann quer durch die literarischen Gattungen: von Spoken Word über Graphic Novels bis zu Lyrik, Essay und Roman. Zu Gast sind unter anderem Nico Bleutge, Alice Grünfelder, Hendrik Otremba, Lukas Bärfuss und Leta Semadeni, die soeben mit dem Schweizer Grand Prix Literatur ausgezeichnet wurde. Der Samstag­abend gehört übrigens ganz den literarischen Debüts.

Und wenn Sie schon in Thun sind, können Sie auch gleich noch eine Bergtour anhängen.

wort zum samstag

Neulich auf Skitour

Julia Trachsel arbeitet als freie Illustratorin in Luzern. Eine ihrer Spezialitäten: Bilder zum Sprechen zu bringen.

Mehr zu Julia Trachsel gibt es hier.

Schönes Wochenende!

Ihre Crew der Republik