Was wusste Bundesrat Alain Berset (rechts) über das Gebaren seines früheren Medien­chefs Peter Lauener? Alessandro della Valle/Keystone

Leakt ins Dunkle

Bei der Affäre um Indiskretionen aus dem Bundesrat könnten am Ende alle verlieren: die Regierung, die Medien, die Justiz.

Von Dennis Bühler, Carlos Hanimann und Priscilla Imboden, 21.01.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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Alain Berset betonte es mehrfach und überdeutlich: Es handle sich um «illegale und recht skandalöse Indiskretionen» aus einem laufenden Straf­verfahren. Er werde dazu keinen Kommentar abgeben.

Damit versuchte der Gesundheits­minister gleich am Anfang eine Pointe zu setzen in diesem jüngsten Medien­skandal über mutmasslich strafbare Indiskretionen seines ehemaligen Kommunikations­chefs während der Corona-Pandemie: Diese seien selbst nur wegen einer «illegalen Indiskretion» an die Öffentlichkeit geraten.

Das klang gut. Aber war es auch wahr?

Tatsächlich ist es nicht verboten, Untersuchungs­akten weiter­zugeben oder zu veröffentlichen. Zumindest, wenn man Beschuldigter ist – und nicht ans Amts­geheimnis gebunden wie eine Ermittlerin.

Schon diese vermeintlich harmlose Episode zeigt: Nichts ist so einfach, wie es scheint, in der Affäre um Bundesrat Berset.

Ist es überhaupt eine Affäre Berset? Nach einer Woche Dauer­schlagzeilen, in der sich die grossen Verlags­häuser CH Media, Ringier, TX Group und NZZ gegenseitig Kungeleien mit der Macht vorwarfen, hat man sich noch nicht mal auf einen Übernamen für den Skandal einigen können: Berset-Affäre («CH Media»)? Corona-Leaks («20 Minuten»)? Ringier-Affäre («Süddeutsche»)? Berset-Walder-Komplex (NZZ)? Informations­austausch-Affäre (nochmals NZZ)?

Aber vielleicht liegt der Skandal in dieser ganzen Geschichte am Ende gar nicht in den Ergebnissen der Straf­untersuchung, sondern in der Untersuchung selbst und damit beim Ermittler Peter Marti, der das Verfahren als ausser­ordentlicher Staats­anwalt führt und gegen den ebenfalls eine Untersuchung läuft, geführt von einem weiteren ausser­ordentlichen Staats­anwalt …

Moment.

Der Reihe nach.

Eins: Die Enthüllung

Am letzten Samstag veröffentlichten die Zeitungen des Verlags­hauses CH Media zwei Artikel, in denen sie über die laufende Straf­untersuchung gegen Peter Lauener berichteten, den ehemaligen Kommunikations­chef von Alain Berset. Demnach habe Lauener, der in Bern als einfluss­reicher Spin­doktor galt, während der Pandemie das Verlags­haus Ringier mit vertraulichen Informationen zur Corona-Politik des Bundesrats versorgt. Der Kommunikations­chef habe einen engen Kontakt mit Ringier-CEO Marc Walder gepflegt.

So sei der «Blick» dank illegaler Amtsgeheimnis­verletzungen vorab an vertrauliche Informationen gekommen. Konkret ging es um zwei Artikel, die der «Blick» im November 2020 und im März 2021 publizierte. Das Innen­departement habe mithilfe der Indiskretionen im «Blick» versucht, den Bundesrat in seiner Entscheidungs­findung zu beeinflussen.

Es dauerte nicht lange, bis die Skandal­spirale zu drehen begann. Die Geschäfts­prüfungs­kommission des Ständerats hört Bundesrat Berset voraus­sichtlich nächste Woche an, FDP-Vizepräsident Andrea Caroni will klären lassen, «ob Bundesrat Berset die Wahrheit sagt», und SVP-Nationalrat Alfred Heer droht: «Wenn Herr Berset nicht zurücktritt, dann müssen wir diesen Fall untersuchen.» Notfalls, sagt sein Parteikollege Werner Salzmann, mit einer parlamentarischen Untersuchungs­kommission (PUK), der schärfsten Waffe des Parlaments.

Es ist offensichtlich, dass es in dieser Affäre um mehr geht als um Indiskretionen aus «bundesrats­nahen Quellen», wie Journalisten die Amtsgeheimnis­verletzungen manchmal umschreiben. Es geht – im Wahl­jahr 2023 – auch um den Sitz des beliebtesten Bundesrats und seine Kommunikations­strategie in der Pandemie.

Es geht aber, jenseits der Schlag­zeilen, auch um ganz grundsätzliche Fragen der Demokratie und des Journalismus: Wann dienen Indiskretionen der Kontrolle der Mächtigen durch die Medien? Und wann dienen sie den Mächtigen dazu, die Medien zu kontrollieren?

Und es geht auch um die Frage, was höher zu gewichten ist: die Verfolgung einer Indiskretion? Oder die Freiheit der Presse?

Zwei: Was bisher geschah

Die NZZ kommentierte diese Woche, die Affäre müsse ausgeleuchtet werden – «bis in den dunkelsten Winkel». Eine kühne Forderung, wenn man bedenkt, dass die Sache vor über zwei Jahren genau dort ihren Anfang genommen hatte: an der Falken­strasse 11 in Zürich, im Redaktions­gebäude der NZZ.

Am 30. Oktober 2020 veröffentlichte die NZZ einen Artikel über eine geheime Untersuchung der parlamentarischen Geschäftsprüfungs­delegation (GPDel) zur Spionage­affäre rund um die Zuger Firma Crypto AG. Diese lieferte jahrzehnte­lang manipulierte Chiffrier­geräte an alle Welt und hatte damit US-amerikanischen und deutschen Geheim­diensten ermöglicht, verschlüsselte Kommunikation auszuspionieren. Die NZZ kannte und publizierte den Inhalt des geheimen Abschluss­berichts der GPDel – elf Tage bevor der Bericht offiziell veröffentlicht wurde. In ihrer Bericht­erstattung nahm sie eine für die Affäre zentrale Person in Schutz: Markus Seiler, FDP-Mitglied, ehemaliger Geheimdienst­chef, aktueller General­sekretär im Aussen­departement von Ignazio Cassis. Seiler, schrieb die NZZ, werde im Bericht der Geschäftsprüfungs­delegation «nicht oder nur marginal belastet».

Das war eine grobe Irreführung, wie sich zeigte, als der Bericht öffentlich wurde. Oder ein bewusster Dreh?

Der offizielle Bericht jedenfalls stellte Seiler ein «vernichtendes Zeugnis» aus.

So oder so: Die Geschäfts­prüfungs­delegation des Parlaments war verärgert über das Leck. Oder die Lecks, im Plural. Denn auch der «Tages-Anzeiger» schrieb vor der offiziellen Veröffentlichung über die Inhalte des Berichts.

Die Geschäfts­prüfer erstatteten Anzeige wegen Verletzung des Amts­geheimnisses. Und da möglicher­weise auch die Bundes­anwaltschaft involviert gewesen war, wurde ein ausser­ordentlicher Staats­anwalt berufen. Sein Name: Peter Marti.

Marti war längst pensioniert. In den Achtziger­jahren hatte sich der spätere Ober­richter der SVP einen Namen als Linkenjäger gemacht, er gilt als forscher Straf­verfolger, manchen ist er zu forsch.

Üblicherweise verlaufen Untersuchungen wegen Amtsgeheimnis­verletzungen im Sand: weil die Ermittlungen aussichtslos sind, weil die Straf­verfolgerinnen ihrer Arbeit lustlos nachgehen.

Nicht so «der scharfe Hund aus Winterthur» («Tages-Anzeiger»): Marti stieg mit grossem Eifer in die Akten, lud eine ganze Reihe Journalisten vor, machte Haus­durchsuchungen bei zwei Mitarbeitern von Ignazio Cassis – EDA-Medien­chef Michael Steiner und EDA-General­sekretär Markus Seiler – und bei Bersets Medien­chef Peter Lauener.

Plötzlich ging es nicht mehr nur um die Crypto-Affäre, sondern um Indiskretionen – oder präziser: Amtsgeheimnis­verletzungen – aus dem Innen­departement während der Pandemie.

Im Mai 2022 liess Marti Lauener gar kurzzeitig ins Gefängnis stecken. Lauener warf Staats­anwalt Marti daraufhin Amts­missbrauch vor und zeigte ihn an. Wegen der Haft. Und wegen der Frage, ob die Mails, die letzte Woche publik wurden, überhaupt im Straf­verfahren verwendet werden dürfen. Marti hatte die Mails über das Bundesamt für Informatik und Tele­kommunikation erhalten. Und er dürfte dieselben Mails auch bei Haus­durchsuchungen beschlagnahmt haben: bei Lauener und beim CEO von Ringier, Marc Walder.

Bislang sind die Unterlagen unter Verschluss, sie wurden gesiegelt. Doch das Zwangsmassnahmen­gericht in Bern wird über eine Entsiegelung dieser heiklen Daten befinden müssen.

Es wird ein weitreichender Entscheid.

Denn es geht um weit mehr als eine technische, strafprozessuale Frage. Es geht darum, was wichtiger ist: Amts­geheimnis oder Medien­geheimnis? Der Schutz vor Indiskretion oder der Schutz von Informantinnen?

Es geht um ein zentrales Merkmal der freien Presse: den Quellen­schutz.

Drei: Ohne Journalismus keine Demokratie

Es ist vermutlich kein Geheimnis mehr: Vertrauliche Hintergrund­gespräche, Insider­informationen, Leaks, das Durch­stechen von geheimen Papieren – das alles gehört zum journalistischen Alltag. Mal dienen die Indiskretionen dem besseren Verständnis und der Einordnung, mal dienen sie der Kontrolle der Mächtigen, dem Aufdecken von Ungereimtheiten und Miss­ständen. Und mal der blossen Instrumentalisierung der Medien.

Auch die Republik stützt sich regelmässig auf vertrauliche Auskünfte von Mitarbeiterinnen der Bundes­verwaltung oder auf nicht öffentliche Dokumente: zuletzt etwa im Porträt von Bundes­rätin Karin Keller-Sutter oder in der Recherche über fragwürdige Abschiebe­flüge des Staats­sekretariats für Migration.

Aber manchmal dienen die Indiskretionen auch schlicht: der Profilierung, der Aufmerksamkeit, den Klicks, den Verkäufen.

Relevanz wird dann gemessen an sogenannten Primeurs, also an der Frage, wer zuerst über etwas berichtet. Ein Wettlauf der Medien, der in der Vergangenheit immer wieder zur Kuriosität führte, dass am Mittwoch­morgen in der Zeitung stand, was der Bundesrat am Mittwoch­nachmittag ohnehin aller Öffentlichkeit verkündete. Gerade in der Pandemie waren solche Berichte nicht nur im «Blick», sondern auch im «Tages-Anzeiger» zu lesen.

Die Affäre um die Indiskretionen aus dem Innen­departement zeigt, wie einfluss­reich Kommunikations­profis geworden sind: wie sie erlesene Kreise mit Informationen bedienen, wie sie die Deutungs­hoheit gewinnen, wie sie die mediale Bericht­erstattung steuern wollen.

Aber auch das ist vermutlich kein Geheimnis mehr. Dass der Bund, Behörden und Unter­nehmen Heer­scharen von Profis genau zu diesem Zweck beschäftigen: um mit Hintergrund­gesprächen, Insider­informationen, dem Durch­stechen von nicht ganz so geheimen Papieren den Kommunikations­fluss zu kontrollieren und das Image ihrer Chefs in der Öffentlichkeit zu beeinflussen.

Wenn nun also in der weiteren Aufklärung über die Informations­lecks im Innen­departement bewiesen würde, dass Bersets Kommunikations­chef vertrauliche Informationen dem Ringier-CEO Walder steckte, der diese den «Blick»-Journalistinnen zur Publikation weitergab, um damit den Gesamt­bundesrat unter Druck zu setzen und in seinem Sinne zu beeinflussen, dann wäre das mutmasslich eine Straftat.

Aber vor allem wäre es auch ein Versagen der Medien, die dem falschen Glauben nachhingen, die Ersten zu sein bedeute, die Besten zu sein, und dabei vergassen, dass sie sich bloss in ein politisches Powerplay hatten einspannen lassen.

Vier: Cui bono?

Egal, welchem Zweck es dient: Der Bruch eines Geheimnisses ist fast immer strafbar. Die Beteiligten wissen das. Und sie nehmen eine mögliche Strafe in Kauf. Weil der Geheimnis­verrat einem höheren Interesse dient. Oder zumindest ihrem eigenen. Das gilt nicht nur für die vermuteten Indiskretionen von Bersets Kommunikations­chef, sondern ganz genauso für die Leaks zum Straf­verfahren gegen ihn.

So oder so stellen sich den Journalistinnen primär zwei Fragen: Ist die Information wahr? Und ist sie von öffentlichem Interesse?

Eine andere Frage aber bleibt bei dieser Abwägung unbeantwortet: Cui bono – wem nützt es?

Und das ist vermutlich der bisher am schlechtesten ausgeleuchtete Winkel in dieser Affäre: Wer konnte E-Mails und Einvernahme­protokolle aus einer laufenden Straf­untersuchung an die Medien weitergeben? Oder eben fast wichtiger: Wer hatte ein Interesse daran? Und weshalb?

Man könnte an dieser Stelle darüber spekulieren, wem die Veröffentlichung von E-Mails und Einvernahme­protokollen schadete. Und wem sie nützte. Aber eben: Es wären Mutmassungen, Gerüchte, Spekulationen.

Die Fakten lauten:

Die Bundes­anwaltschaft hat angekündigt, dass sie dem neusten Leck nachgeht. Sie hat bei ihrer Aufsichts­behörde die Unter­suchung der mutmasslichen Amtsgeheimnis­verletzung beantragt.

Fünf: Alle gegen alle

Mittlerweile ist die Affäre längst ein mediales Alle gegen alle: Die Zeitungen von CH Media warfen dem «Blick» Kungelei mit der Macht vor, der «Blick» verwahrte sich, der «Tages-Anzeiger» betonte, was ihn vom «Blick» unterscheide. Die NZZ wiederum warf dem «Tages-Anzeiger» vor, er stelle sich kritischer dar, als er sei, die «Weltwoche» giftelte gegen alle und vor allem gegen links.

Dabei geht es nicht nur um professionelle Konkurrenz, sondern auch um wirtschaftliche Interessen und persönliche Animositäten unter Journalisten. Bis vor kurzem waren etwa CH-Media-Chefredaktor Patrik Müller und Blick-Chefredaktor Christian Dorer sehr eng befreundet: Als junge Journalisten arbeiteten sie gemeinsam beim «SonntagsBlick» und wohnten in einer WG, später schrieben sie zusammen ein Buch und wohnten Tür an Tür in Baden. Politisch allerdings haben sie sich auseinander­gelebt: Müller hat seit mindestens einem Jahrzehnt keinerlei Berührungs­ängste mehr gegenüber der SVP (er war einer der wenigen Journalisten, die für die sogenannte Massen­einwanderungs­initiative warben).

Die aktuelle Affäre scheint zudem wie ein Gespenst aus längst vergangenen Zeiten, als der Chef der Nachrichten­agentur wöchentlich mit FDP-Bundesräten dinierte oder als SVP-Doyen Christoph Blocher fast täglich mit «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel telefonierte.

Am Ende könnten in dieser Affäre alle verlieren: die Regierung, die Medien, die Justiz.

Denn sie nährt eine gefährliche Erzählung: dass die Medien und die politische Macht unter einer Decke steckten.

Und sie schafft ein Präjudiz, das die Arbeit der freien Presse als vierte Gewalt bedroht: Wenn ein Staats­anwalt Indiskretionen, die lange als Kavaliers­delikte galten, verfolgt wie schwere Straftaten, wenn auf vertrauliche Gespräche Haus­durchsuchungen und Untersuchungs­haft folgen, wenn nach Enthüllungen E-Mails beschlagnahmt werden, dann ist der Schutz von Informantinnen in Gefahr.

Und zwar nicht bloss dann, wenn ein Medium einen Entscheid ein paar Stunden früher als andere melden will. Sondern vor allem, wenn es ins Licht rücken will, was Mächtige lieber im Dunkeln liessen.

Alain Berset gilt in der Bevölkerung noch immer als der beliebteste Bundesrat. Allen Affären zum Trotz. Und doch: Alle Augen sind auf ihn gerichtet, den amtsältesten Bundesrat der Regierung, das Aushänge­schild der SP im Wahljahr.

Was wusste der Gesundheits­minister über das Gebaren seines Medien­chefs?

Nichts, soll er dem ermittelnden Staats­anwalt in den Einvernahmen gesagt haben: «Ich kann es auch nicht wissen.»

Das klingt gut. Nur muss es am Ende auch wahr sein.

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