Werbemillionen gegen die Demokratie

Schweizer Unter­nehmen und Organisationen finanzieren mit ihren Online-Inseraten Desinformations­portale. Jährlich fliessen Millionen – meist unwissentlich – an rechts­populistische Seiten wie «Breitbart». Der Werbe­berater Michael Maurantonio will das stoppen. Doch die Branche scheut Transparenz.

Von Pascal Sigg (Text) und Adam Higton (Illustration), 08.08.2022

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Als vor etwas mehr als zwei Jahren die Covid-19-Pandemie aus- und der Werbemarkt einbrach, richtete sich Michael Maurantonio in seinem Büro zu Hause ein und gab sich eine neue Aufgabe. Er durch­forstete das Internet, um heraus­zufinden, wo Schweizer Unter­nehmen überall werben.

Was er dabei entdeckte, hat ihn seither nicht mehr losgelassen.

Sein Forschungs­drang war allerdings bereits einige Monate zuvor geweckt worden. Im Herbst 2019 hatte Michael Maurantonio, ein selbst­ständiger Werbe­berater im besten Karriere­alter, einen Schweizer Getränke­hersteller darauf hingewiesen, dass dessen Werbung auf einer amerikanischen Website erschien, die Desinformation verbreitete.

Was war geschehen?

Der Getränke­hersteller hatte eine Werbe­agentur beauftragt, im Netz Werbung zu schalten. Und nun beauftragte der Getränke­hersteller Maurantonio, nachzu­forschen. Dieser markierte die Banner seines Kunden mit einem Tag, um jede einzelne Ausspielung der Online­werbung mit einem Analyse­programm verfolgen zu können. Dabei entdeckte er etwas Merk­würdiges: Die Werbung des Getränke­herstellers erschien weltweit auf rund 6000 verschiedenen Websites.

Darunter waren Seiten wie Scrabblemania.de, auf der man nachschauen kann, wie viele Punkte ein bestimmtes Wort beim Spiel Scrabble einbringt – die Seite ist vollgepflastert mit Werbe­plätzen und registriert in Polen. Etwa 150’000 Mal monatlich zeigte Scrabblemania.de die Werbung seines Kunden an. Auch auf Constative.com – als Lifestyle- oder Newsseite deklariert, aber ohne Impressum – wurden die Anzeigen von Maurantonios Klientin sehr häufig ausgespielt.

Und dann tauchte die Werbung seines Kunden auch auf «Hannity», «Wayne Dupree» oder «Breitbart» auf – alles mehr oder weniger bekannte Adressen extrem rechter Kreise. Propaganda­schleudern, die Fakten verdrehen, Tatsachen mit Fantasie vermischen und anti­demokratische, häufig rassistische Desinformation verbreiten.

Zu diesen drei Websites flossen je rund 40 Franken aus dem Werbe­budget von Maurantonios Kunden, in Form kleiner Werbe­anzeigen. Sie machten unmittelbar neben den Falsch­nachrichten ein Getränk den angeblichen Schweizer Besucherinnen der Websites schmackhaft.

Maurantonio war klar, dass der Getränke­hersteller nicht das einzige Schweizer Unter­nehmen war, das auf problematischen Seiten warb. Als er während der Covid-Pandemie viel Zeit hatte, begann er, das Internet zu scannen.

Er fing mit 15 Websites an. Es wurden immer mehr. Maurantonio fand Werbung von Dutzenden von Schweizer Unter­nehmen in den dunkelsten Ecken des Internets.

Er machte Screenshots von den Werbe­bannern, die neben Falsch­aussagen, Desinformation und Hatespeech aufpoppten, und schickte die Kopien den betroffenen Unter­nehmen. Wollten die Firmen das wirklich?

Maximaler Kontrollverlust

Maurantonio kennt sich in der Welt der Online­werbung aus. Als er nach seinem Biologie­studium eine Stelle im Marketing eines bekannten Wirtschafts­prüfers fand, liess er bereits 1999 Werbe­banner auf den Websites seiner Kundinnen einbauen. Das Geld lockte ihn, nachdem er sich zuvor sein Studium mit Toiletten­putzen finanziert hatte.

In der aufstrebenden Branche voller neuer Möglichkeiten war sein kritisch geschulter Blick gefragt. Bald arbeitete er bei inter­nationalen Unter­nehmen wie Microsoft oder Agenturen wie Zenith, GroupM und IPG in leitenden Funktionen. Nach etwas mehr als zehn Jahren machte er sich selbstständig.

«Ich bin nun mal unbequem und lasse mir nicht gern Sachen vorkauen von Leuten, die es nicht besser wissen», sagt er heute. Er war skeptisch, als Google Anfang der 2010er-Jahre eine neue Möglichkeit fand, Geld zu verdienen: mit Werbe­vermarktungen mittels automatisierter Echt­zeit­auktionen, genannt Real-Time-Bidding.

Dies verwandelte die Online­werbung radikal. Denn bis dahin hatte man Online­werbung direkt beim Betreiber einer Website gebucht – zum Beispiel beim Ringier-Verlag. Wer auf Blick.ch werben wollte, kaufte dafür auf der Website einen bestimmten Platz für eine bestimmte Dauer, wie das bei Zeitungen der Fall war. Im Gegenzug wurde das Inserat allen angezeigt, die Blick.ch während des definierten Zeitraums aufriefen. Das änderte sich mit Real-Time-Bidding.

Wer heute auf seiner Website einen Werbeplatz verkaufen will, bietet ihn in der Regel an einer Börse an, wo ihn der Höchst­bietende erwerben kann. Die Echtzeit­auktion erfolgt innert Milli­sekunden. Der Ort, an dem die Werbung erscheint, ist dabei zweitrangig. Viel wichtiger ist die Zielgruppe.

Neben Google, dessen Börse AdX heisst, haben auch andere Techfirmen wie Facebook, Amazon oder Microsoft ähnliche Börsen aufgebaut. Sie geben vor, einzelne Internet­nutzer gezielt erreichen zu können. Das gelingt dank Daten, die sie via Such- oder Surfverlauf über die Nutzerinnen gesammelt haben. Sie wissen oft, wie alt eine Person ist, wo sie wohnt, welches Geschlecht und vor allem welche Konsum­interessen sie hat.

Dank der gezielten Ausspielung wird einem Nutzer aus der Schweiz eine andere Werbung angezeigt als zum Beispiel einer Nutzerin, die in Kolumbien am Computer sitzt und zum selben Zeitpunkt dieselbe Seite aufruft.

Dabei gilt: Je mehr User die Anzeige sehen, desto mehr Geld gibt es für die Betreiberinnen.

Für viele Werbe­unternehmen war die Infra­struktur, mit der Google vor zehn Jahren die Online­werbung revolutionierte, ein Quanten­sprung. Doch Maurantonio hatte viele Fragen: Wer überprüft, ob die Statistiken zur ausgespielten Werbung tatsächlich stimmen? Ob die Werbe­anzeige tatsächlich an den Meist­bietenden verkauft wurde? Für den Komfort und die tiefen Preise bezahlten die Werbenden mit maximalem Kontroll­verlust.

Grosses Schweigen bei den Schweizer Unternehmen

Anfang 2021, als er bereits mehr als ein Jahr lang Websites nach Schweizer Werbung abgeklappert hatte, lernte Maurantonio Thomas Koch kennen. Koch ist ein bekannter deutscher Werber mit fast 50 Jahren Branchen­erfahrung. Sein Spitzname: Mr. Media. Maurantonio erzählte ihm, wie er seit einem Jahr täglich problematische Websites nach Werbe­bannern abklappere. Er rief die amerikanische Seite Breitbart.com auf, fand eine Werbe­anzeige von Volkswagen und schickte Koch den Screenshot.

Dieser leitete ihn mit einer Notiz an einige Redaktionen weiter – und in den folgenden Tagen verwandelte sich der Screenshot in Schlagzeilen.

«VW wirbt bei ‹Breitbart›: Muss das sein?», fragte das Branchen­medium «Werben & Verkaufen».

Später schrieben auch «Der Spiegel» und die FAZ darüber. VW habe das Problem daraufhin wirklich lösen wollen, erinnert sich Thomas Koch. Während einer Woche telefonierte er fast täglich mit der Marketing­abteilung des Konzerns. Auf einer Branchen­konferenz erklärte eine VW-Vertreterin kürzlich, der Skandal habe intern hohe Wellen geschlagen – und das Problem könne ohne verstärkte Kooperation zwischen allen Beteiligten in der Online­werbung nicht gelöst werden. Aber nicht alle reagierten auf die Hinweise so wie VW.

Maurantonio und Koch gründeten zusammen eine private Initiative mit eigener Website und eigenem Twitter-Account, auf dem sie ihre Funde dokumentierten und veröffentlichten. Sie nannten sie «Stop. Funding. Hate. Now!», angelehnt an eine in Gross­britannien bereits existierende Gruppe.

Bis Ende 2021 fanden die beiden Werbe­spezialisten mehr als 2000 Unternehmen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland, die auf weltweit 180’000 Web­sites warben, die Maurantonio als problematisch einstuft.

Maurantonio nimmt diese Kategorisierung selbst vor. Er befindet sich dafür in regel­mässigem Austausch mit dem «Digital Forensic Research Lab» oder der US-Initiative «Check My Ads». Bei der Seiten­analyse beurteilt er die Betreiber, deren Agenda und Verbindungen zu Organisationen oder Lobbyisten. Er untersucht zum Beispiel, ob die Seiten zwischen Meinung und Fakten unterscheiden und ob Fakten­fehler Ausnahmen sind oder System haben. Insbesondere bei extremistischen, diskriminierenden und pseudo­wissenschaftlichen Inhalten kennt er kein Pardon. «Da wir nicht Hüter der Moral sind, orientieren wir uns immer an den gesetzlichen Vorgaben des jeweiligen Landes des Werbe­auftraggebers.»

Maurantonio fand Anzeigen von Schweizer Musikern, von Politikerinnen, aber auch öffentlichen Institutionen wie Polizei­behörden, Universitäten oder Fach­hochschulen an Orten, an denen diese unmöglich werben wollten. Auch ein Inserat der Republik tauchte auf der Rechtsaussen-Newssite «Breitbart» auf. (Die Republik reagierte nach seinem Hinweis, und seither hat Maurantonio keine Republik-Anzeigen mehr auf von ihm beobachteten Websites gefunden.)

Screenshot, der ein Republik-Inserat auf «Breitbart» zeigt – die Publikation des Inserats war nicht beabsichtigt.

Irgendwann hatte Maurantonio genügend Daten gesammelt, dass er den Umfang der Geldflüsse abschätzen konnte. Insgesamt generierten die Top 50 der von ihm überwachten Seiten etwa 60 Millionen Besuche aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und etwa 12 Milliarden ad impressions aus diesen drei Ländern. Somit flossen schätzungs­weise 15 bis 20 Millionen Franken jährlich aus der Schweiz zu den Betreibern, etwa 100 Millionen Euro aus Deutschland.

Thomas Koch nahm sich Deutschland vor, Maurantonio kümmerte sich um die Schweiz. Innerhalb eines Jahres, von Anfang 2021 bis Anfang 2022, teilte Maurantonio via Twitter oder E-Mail etwa 700 Schweizer Unternehmen mit, dass ihre Werbung auf bedenklichen Internet­seiten erscheine.

Ungefähr 20 von ihnen reagierten auf die Nachricht. Nur ein paar wenige haben nach Maurantonios Wissen etwas an ihrer Werbe­strategie geändert.

Werbebetrug als gutes Geschäft

Hass- und Desinformations­seiten finanzieren ihren Betrieb nicht nur mit Werbe­platzierungen, sondern oft auch mit Betrug. Und es gibt Über­schneidungen zwischen Werbebetrug und Werbe­platzierungen auf potenziell problematischen Seiten.

Der New Yorker Analyst Augustine Fou ist seit 25 Jahren im digitalen Marketing tätig und beschäftigt sich seit 10 Jahren intensiv mit Anzeigen­betrug in der Online­werbung. Er hat dafür ein eigenes Programm entwickelt, das auch Maurantonio nutzt. Fou sagt, viele US-Seiten, die Schweizer Werbe­gelder einstrichen, würden die Zahlen mit bot traffic manipulieren. Dabei werden die Seiten nicht von echten Menschen, sondern von programmierten Computern aufgerufen. Diese generieren dann die Ansicht eines Inserats, was dem Werbe­treibenden verrechnet wird.

Technisch passiert dies häufig mittels Schad­programm oder Tausender programmierter Browser, die selbst­ständig auf Servern laufen. So können Betreiber von Websites das eigene Publikum künstlich vergrössern, und sie erscheinen dadurch an den Werbe­börsen relevanter. Wie einfach dies funktioniert, demonstrierte zum Beispiel eine CNBC-Journalistin vor zwei Jahren mit einem Selbstversuch.

Fou sagt: «Im Internet kann man 1000 Seiten­aufrufe für einen Dollar einkaufen. Für 1000 angezeigte Werbe­banner bekommen die Betreiber der Websites an den Börsen wiederum bis zu vier Dollar.» Zudem könnten sich die Betreiber von solchen Seiten als legitime Informations­plattformen ausgeben und damit Mass­nahmen umgehen, mit denen Unter­nehmen bestimmte Websites gezielt ausschliessen wollen. «Wenn man ‹Breitbart› ist, dann weiss man, dass niemand auf die eigenen Plätze bieten will. Also gibt man einfach an, die ‹New York Times› zu sein», sagt Fou. «Als Werbekunde sollte man das überprüfen können, aber man muss wissen, wie und wo.»

Fou beschreibt das Geschäft als eine Art Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Betrügerinnen ständig neue Schlupf­löcher nutzen, um technische Restriktionen zu umgehen. Deshalb animierte die EU kürzlich einige Techkonzerne, sich zu einem neuen Verhaltens­kodex gegen Desinformation zu bekennen, mit dem Werbung auf entsprechenden Seiten noch stärker eingeschränkt werden soll.

Doch Fou bezweifelt, dass sich viel bewegen wird. Die Börsen und Vermarkter selbst hätten letztlich kein finanzielles Interesse, all diese Arten von Missbrauch zu unterbinden: «Denn je mehr Anzeigen sie ausspielen und ausweisen können, desto mehr Geld verdienen sie.»

Millionen für US-Rechtsgesinnte

Viele der fraglichen Seiten sind in den USA registriert, wo sie den rechten Kampf gegen die Demokratie mit Desinformation anheizen.

Steve Bannon, Gründer von «Breitbart» und ehemaliger Berater des US-Präsidenten Donald Trump, hat insbesondere nach seiner Verbannung von der Video­plattform Youtube wiederholt bewiesen, dass seine Websites geschickt darin sind, ihre Werbung gegen den Willen der Auftrag­geberinnen auszuspielen. In einem kürzlich erschienenen Porträt im Magazin «The Atlantic» wurde Bannon als «king of the side hustle» bezeichnet – zu Deutsch: König des Nebenerwerbs.

Doch Bannon war nicht der Einzige, der gemäss seiner eigenen Medien­strategie in den USA «den Raum mit Scheisse flutete».

Maurantonio schätzt, dass jährlich allein aus der Schweiz 5 Millionen Franken zum US-Unternehmen Fox News, zur Salem-Gruppe, zum Netzwerk um den rechten Radio­moderator Dan Bongino und zu «Breitbart» fliessen.

Geld, mit dem diese Clickbait-Inhalte produzieren, die automatisiert über Social Media verbreitet werden, wo sie wiederum Traffic auf die eigenen Seiten generieren. Die Website-Rating-Organisation Newsguard fand heraus, dass 2000 Unter­nehmen Anzeigen auf Websites schalteten, die in den USA die Lüge vom Wahlbetrug bei den Präsidentschafts­wahlen 2020 verbreiteten.

Darunter Spitäler, Gross­konzerne und der britische öffentlich-rechtliche Fernseh­sender BBC. Ein weiterer Newsguard-Bericht stellte fest, dass mehr als 100 Unter­nehmen, die direkt in globale Impf­bemühungen involviert waren, Anzeigen schalteten auf Websites, die ihre Anstrengungen unterwanderten.

Weltweit, so Newsguard, würden 2,2 Milliarden Euro an Betreiber von Websites fliessen, die absichtlich Fehl­informationen verbreiteten.

Maurantonio und sein Kollege Koch sind ernüchtert über diese Entwicklung. In ihrem Jahresrückblick 2021 schreiben sie: «Die Branche ist nicht bereit, programmatische Werbung sicherer zu machen.»

Es wird immer mehr ...

Der Widerstand, auf den die beiden Werber in- und ausserhalb der Branche stossen, ist immens. Anfang 2022 twitterte Maurantonio: «‹Stop Funding Hate Now› wird eine Pause einlegen.» Zwei deutsche Website­betreiber hatten gegen ihn und Thomas Koch geklagt – unter anderem wegen Boykott­androhung und Rufschädigung. Das kam unerwartet.

Mit einem Kläger einigten sie sich ausser­gerichtlich. Die Klage des anderen wies ein Landes­gericht in Deutschland erst­instanzlich ab. Die Berufungs­frist läuft aber noch, weshalb die beiden nicht mehr dazu sagen wollen.

Als Folge der Klagen hörten Maurantonio und Koch zwar kurzzeitig auf, die Unter­nehmen und Websites öffentlich zu nennen. Doch sie über­wachen die einschlägigen Websites weiterhin und dokumentieren alles. Dabei rufen sechs Freiwillige die bekannten Seiten auf und erstellen eine Stichprobe – mehr liegt nicht drin. Allein in den Monaten Januar bis Mai 2022 fanden sie wiederum mehr als 700 Schweizer Unternehmen, die auf kritischen Websites warben.

Spitzenreiter waren die Mobile-Marken Yallo (Sunrise) und GoMo (Salt), gefolgt vom Online-Händler Conrad und der E-Zigaretten­marke Iqos von Philip Morris. Von Yallo fand Maurantonios Team in dieser Periode rund 9000 Werbe­anzeigen unter anderen auf rechten Websites wie Hotair.com, Townhall.com, Journalistenwatch.com oder Bearingarms.com.

Zur Stellungnahme von Yallo, Iqos und GoMo

Yallo: «Wir überprüfen regelmässig die Liste der Websites, auf denen Werbung von uns angezeigt wird, und haben die genannten Websites blockiert, damit dies nicht erneut passiert.»

GoMo: «Wir bemühen uns, das Aufschalten von Werbung auf Seiten, die von der Internet­gemeinschaft als ethisch fragwürdig angesehen werden, zu verhindern.» Man prüfe den Inhalt dieser Websites und leite allenfalls entsprechende Schritte ein.

Iqos erklärt, die Anzeigen seien auf ein technisches Problem Anfang Jahr zurückzu­führen. Sie seien unbeabsichtigt ausgespielt worden. Michael Maurantonio sagt, seine Screener hätten seither keine Iqos-Inserate mehr auf den von ihm beobachteten Seiten gesehen.

Conrad hat trotz wiederholter Anfrage bisher keine Stellung genommen.

Zu seinen neusten Zahlen sagt Maurantonio: «Insgesamt sehen wir immer mehr Werbung von Schweizer Unter­nehmen auf den kritischen Websites.»

Diesen Trend stellt auch der «Digital Ad Trust» fest – ein von drei Branchen­verbänden gegründeter Verein, der die Qualität und die Transparenz von Online­werbung verbessern will.

Gelegentlich lässt der Verein von Zulu5, einem NZZ-Tochter­unternehmen, kritische Websites auf Schweizer Werbung absuchen. Diese Studien sind etwas anders angelegt als Maurantonios Stich­proben. Doch auch sie bestätigen, dass immer mehr Schweizer Unter­nehmen Desinformation finanzieren.

Zulu5-CEO Andreas Gysler sagt, es würden immer mehr Schweizer Unter­nehmen breit gestreut programmatisch werben. «Und da nimmt man in Kauf, dass ein gewisser Prozentsatz davon auf problematischen Seiten landen könnte.» Anders als Maurantonio nennen die Zulu5-Studien die betroffenen Unter­nehmen auf Wunsch des «Digital Ad Trust» jedoch nicht beim Namen. Obschon Gysler findet, dass dies helfen würde, das Problem anzugehen.

Maurantonio findet das «hoch­politisch». In seinen Augen will die Branche das Problem kleinhalten und unter den Tisch kehren.

Roland Ehrler, Präsident des «Digital Ad Trust» und des «Verbands Schweizer Werbe­treibender», sagt, man wolle die betroffenen Unter­nehmen nicht angreifen. Sie würden schriftlich benachrichtigt: «Es liegt in der Verantwortung eines jeden Unter­nehmens, die richtigen Schlüsse zu ziehen.»

Anders als Maurantonio will Ehrler nicht schätzen, wie viel Geld aus der Schweiz an die problematischen Seiten geht. Er gibt aber zu: «Natürlich besteht ein Imagerisiko für Schweizer Unter­nehmen und Marken.»

Engagement aus Verpflichtung

Michael Maurantonio wuchs als Sohn italienischer Einwanderer auf. Seine Eltern unterhielten mitten im Stadt­zürcher Kreis 4 eine Pension für Saisonniers.

Beide arbeiteten von früh­morgens bis spät­abends für ihre vier Buben. Tagsüber arbeitete sein Vater als Löter, während die Mutter in der Pension die Zimmer reinigte. Am Abend kochte der Vater für die Kinder und wusch die Wäsche von 40 Bewohnern; die Mutter putzte andernorts Büros.

Maurantonio sagt, ihn habe geprägt, wie man in der Schweiz mit seinen Eltern umgegangen sei. Vor allem bei der Wohnungs- oder Jobsuche.

«Unsere Eltern haben uns immer unterstützt und sich oft viel Ungerechtigkeit gefallen lassen, damit wir es einmal besser haben sollten als sie.» Er fühle sich verpflichtet, dies auch seinen eigenen Kindern vorzuleben.

Sowohl Maurantonio als auch Koch sagen, es gehe ihnen nicht um «Breitbart». «Wir wollen die Diskussion über die Grenzen der Meinungs­äusserungs­freiheit nicht führen», so Maurantonio. «Wir wollen keine Watchdogs sein. Wir möchten aber, dass die Kunden wissen, wo sie mit ihrem Unter­nehmen werben. Dann können sie selbst entscheiden, ob sie das unterstützen wollen. Aktuell können sie das nicht.»

Maurantonio und Koch fordern von allen Beteiligten mehr Transparenz. Die Börsen sollen offen­legen, wie sie funktionieren. Die Agenturen, welche die Budgets der Werbe­treibenden an den Börsen verwalten, sollen diese gewissenhaft informieren. Und die Werbe­treibenden selbst sollen sich zu Werten bekennen und auch bei ihrer Werbe­platzierung danach handeln.

«Alle diese Werbe­treibenden könnten ihre Millionen in seriöse Vorhaben, zum Beispiel in den Schweizer Journalismus oder in Hilfswerke, stecken, statt damit Diskriminierung und Desinformation zu finanzieren», sagt Maurantonio. «Sie müssten nur wollen.»

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