Wie der Schweizer Geheimdienst Unverdächtige fichiert

Grüne, Amnesty, Jugendverbände: Der Nachrichtendienst des Bundes hat unzählige Daten von Parteien, Organisationen und Politikern gesammelt und damit gegen das Gesetz verstossen. Er selbst bestreitet dies – und ändert trotzdem seine Praxis.

Von Lukas Häuptli (Text) und AHAOK (Illustration), 01.06.2022

Vorgelesen von Magdalena Neuhaus
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Als Edward Snowden 2013 den Skandal um die Daten­beschaffungen des amerikanischen Geheimdienstes NSA enthüllte, sagte dessen Direktor Keith Alexander den bemerkenswerten Satz: «Man braucht die Daten, man braucht den Heuhaufen, um die Nadel zu finden

Die Nadel, das war der Terrorist, die Extremistin, der Staatsfeind der USA. Und für den Heuhaufen hatte die NSA unter Keith Alexander während Jahren alles gesammelt, was sie sammeln konnte. Entstanden war ein Überwachungs­apparat: In den Datenbanken des Geheim­dienstes häuften sich Milliarden von Informationen über Amerikanerinnen.

Nun ist der Schweizer Geheimdienst nicht die NSA.

Aber auch der Nachrichten­dienst des Bundes (NDB) hat in den letzten Jahren stattliche Heuhaufen zusammengetragen. Bis in die Gegenwart hat er unzählige Daten gesammelt von Parteien, Organisationen und Politikern, die in keinem Zusammenhang mit seinen Aufgaben stehen. Dass er sie gesammelt hat, verstösst deshalb gegen das Gesetz.

Das zeigen Recherchen der Republik, die rund zwei Dutzend Schreiben des Nachrichten­dienstes ausgewertet hat. Der NDB hatte diese zwischen 2019 und 2022 an Fichierte verschickt, die um entsprechende Auskünfte ersucht hatten.

So beschaffte der Nachrichten­dienst während Jahren Informationen über politische Parteien wie die Grünen Schweiz, das Grüne Bündnis Bern oder die Alternative Linke Bern. Über Organisationen wie Amnesty International, die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, Humanrights.ch, Grundrechte.ch, Solidarité sans frontières oder Augenauf. Über Nationalrats­mitglieder wie Balthasar Glättli, Manuela Weichelt oder Marionna Schlatter von den Grünen. Über Anwältinnen aus dem Asyl- und Migrations­bereich.

Aber auch über unpolitische Vereinigungen wie die Schweizerische Arbeits­gemeinschaft der Jugendverbände. Sie ist die Dachorganisation von rund 60 Jugendvereinen, unter ihnen Pro Juventute, die Pfadibewegung Schweiz und der Schweizer Jugendmusik­verband.

In den Fichen finden sich beispielsweise folgende Informationen:

  • Grüne Schweiz: Die Partei ist in den Daten­banken des Nachrichten­dienstes mehr als 2300-mal verzeichnet. Aufgeführt sind Sitzungen, Versammlungen, Anlässe, Parolen und Stellung­nahmen der Grünen, aber auch Auftritte von Partei­vertreterinnen sowie Demonstrationen, zu denen die Partei aufgerufen hatte. Daneben sammelte der Nachrichten­dienst zahlreiche Medien­beiträge über die Grünen, etwa eine Reportage der «Schweizer Illustrierten» von 2017 über eine Nepal-Reise der damaligen Partei­präsidentin Regula Rytz.

  • Amnesty International: Rund 80-mal taucht Amnesty International in den Datenbanken auf. Bei den meisten Einträgen handelt es sich um Zeitungs­berichte. Daneben hat der NDB aber auch Stellung­nahmen der Nicht­regierungs­organisation gespeichert, etwa zu Menschenrechts­fragen.

  • Humanrights.ch: Über Humanrights.ch, eine Organisation, die sich um die Einhaltung der Grundrechte kümmert, hat der Nachrichten­dienst rund 50 Dokumente abgelegt. Darunter befinden sich zahlreiche Einträge zu Einbürgerungen, Asyl- und Auslieferungs­verfahren. «Die Fiche des Nachrichten­dienstes über Humanrights.ch enthält sehr viele Informationen über unsere politische Betätigung und Informations­arbeit im Bereich der Menschen­rechte», sagt Valentina Stefanović von der Nicht­regierungs­organisation. «Es erweckt den Eindruck, dass der Nachrichten­dienst mit der schieren Datenmenge, die er beschafft, nicht zurechtkommt.»

  • Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA): Über sie gibt es in den Datenbanken mehr als 1200 Einträge. Aufgeführt sind darin zahlreiche Initiativen und Petitionen, Aktionen und Demonstrationen sowie Ostermärsche der Gruppe. Der Nachrichten­dienst hat die GSoA aber auch mindestens viermal im Kontext von Links­extremismus erfasst, mindestens zweimal von Gewalt­extremismus und mindestens einmal von Terrorismus. Was in den Einträgen dazu steht, ist nicht bekannt; der Nachrichten­dienst legte in seinem Schreiben die meisten dieser Inhalte wegen «Geheimhaltungs­interessen» nicht offen.

  • Nationalrätin Manuela Weichelt: Die Grünen-Politikerin taucht mehrmals in den sogenannt sicherheits­relevanten Datenbanken des Nachrichten­dienstes auf. Darin verzeichnet ist unter anderem, dass die heutige Nationalrätin und frühere Zuger Regierungs­rätin Mitglied des Organisations­komitees einer Demonstration gegen Glencore war, dass sie an einer Video­konferenz des Zuger Gewerkschafts­bunds teilnahm und als Regierungs­rätin eine Angestellte brieflich über eine Zulage informierte. Dies, obwohl der NDB Weichelt am 12. Mai 2022 mitteilte, sie sei «kein Ziel der nachrichten­dienstlichen Beschaffungs­aktivitäten» und werde «nicht als Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit eingeschätzt». Weichelt sagt dazu: «Ich erachte es als bedenklich, dass 30 Jahre nach der Fichenaffäre noch immer solche Daten gesammelt werden. Ich frage mich, ob der NDB seine Ressourcen richtig einsetzt – und ob er in dieser Form überhaupt eine Existenz­berechtigung hat.»

  • Schweizerische Arbeits­gemeinschaft der Jugend­verbände: Der NDB hat die Arbeits­gemeinschaft rund 30-mal erfasst, unter anderem mit Angaben dazu, bei welchen politischen Vorhaben diese zur Vernehm­lassung eingeladen worden war. «Der Nachrichten­dienst hat offenbar sehr selektiv – und in unseren Augen willkürlich – Informationen über uns beschafft», sagt Geschäftsleitungs­mitglied Aina Waeber.

Es gibt in den Datenbanken des Nachrichten­dienstes aber nicht nur Daten zu Personen und Organisationen der politischen Linken, sondern auch zu solchen der politischen Rechten. Zu diesen weiss man jedoch wenig, und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Betroffenen kaum je Einsicht in ihre Fichen verlangten.

Aber auch in den Antworten des NDB auf die Auskunfts­gesuche von Linken bleiben viele Fragen offen. Teils sind ganze Seiten geschwärzt, teils sind Angaben aufgeschoben (wie es das Gesetz erlaubt). Das habe man, so der Dienst, aus Geheimhaltungs­gründen oder zum Schutz Dritter gemacht.

Je höher der Heuhaufen …

Der Schweizer Geheimdienst sammelte in den letzten Jahren also Daten ganz nach dem Mantra von Ex-NSA-Direktor Keith Alexander: Je höher der Heuhaufen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, eine Nadel zu finden.

Damit hat der Nachrichten­dienst des Bundes wahrscheinlich jahrelang gegen geltendes Recht verstossen. Konkret geht es um das Gesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit, das seit 2007 in Kraft ist, und um das Nachrichtendienst­gesetz, das seit 2017 gilt. Beide verbieten ausdrücklich die Beschaffung und Bearbeitung von «Informationen über die politische Betätigung und über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- oder Vereinigungs­freiheit in der Schweiz». Rechtlich spielt es keine Rolle, ob es sich dabei um öffentlich zugängliche Informationen handelt oder nicht.

Daneben fragt sich, ob das anscheinend wahllose Daten­sammeln dem Nachrichten­dienst überhaupt nützt. Oder ob es ihm nicht vielmehr im Weg steht, weil er so den Fokus auf reale Gefahren verliert. Schliesslich ist seine Aufgabe, wie es im Nachrichtendienst­gesetz heisst, die «demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen der Schweiz» zu sichern sowie die «Freiheitsrechte der Bevölkerung» und deren «Sicherheit» zu schützen.

Dass die Fichen des Geheimdienstes über unverdächtige Parteien, Organisationen und Personen jetzt bekannt werden, ist brisant. Vor rund zwei Wochen hat der Bundesrat nämlich ein neues Nachrichtendienst­gesetz in die Vernehmlassung geschickt. Dieses sieht zwar vor, dass der rechtliche Rahmen fürs Datensammeln genauer bestimmt wird. Man habe sich in dieser Hinsicht an die Vorgaben des Datenschutz­gesetzes gehalten, sagte die verantwortliche Bundesrätin Viola Amherd. Gemäss dem neuen Gesetz soll der Geheimdienst aber auch mehr Kompetenzen erhalten, vor allem zur Überwachung von gewalttätigen Links- und Rechts­extremen.

Der Chilling-Effekt

Viktor Györffy beschäftigt sich seit Jahren mit dem Nachrichten­dienst und dessen Daten­banken. Er ist Anwalt in Zürich, steht dem Verein Grundrechte.ch vor, und er wägt, wenn er spricht, jedes Wort sorgfältig ab.

Zu den Fichen, die sein Verein zusammengetragen hat und die der Republik vorliegen, sagt er: «Der Nachrichten­dienst hat grundrechts­widrig zahllose Daten von Parteien, politischen Organisationen und Personen gesammelt. Damit verletzte er die Meinungs- und Versammlungs­freiheit der Betroffenen sowie deren Anspruch auf die sogenannte informationelle Selbst­bestimmung.»

Auffallend sei, wie oft der Dienst politische Äusserungen zusammengetragen und in den Fichen Kommentare dazu angefügt habe. Györffy folgert: «Von aussen betrachtet scheint es, dass der Nachrichten­dienst an der Praxis festhalten will, sehr breit Daten zu sammeln. Offenbar müssen politisch progressive Kräfte in der Schweiz einfach davon ausgehen, dass sie vom Nachrichten­dienst erfasst werden.»

Kritik äussert auch Balthasar Glättli, Nationalrat und Präsident der Grünen Schweiz. «Der Nachrichten­dienst hätte ganz viele Daten gar nicht erfassen dürfen», sagt er. Störend sei vor allem, dass der Dienst verschiedentlich Informationen über die Grünen in seinen sicherheits­relevanten Daten­banken abgelegt habe. «Hier dürften die Grünen vom Nachrichten­dienst aber nur dann erfasst werden, wenn ihre demokratische politische Tätigkeit ein Deckmantel für Terrorismus wäre – was ja offensichtlich nicht der Fall ist.»

Für Glättli ist klar: «Die Erfassung von Parteien und Nicht­regierungs­organisationen durch den Nachrichten­dienst bewirkt einen Chilling-Effekt. Das heisst, dass Menschen davon abgeschreckt werden, sich politisch zu betätigen und zu äussern, weil sie befürchten müssen, sonst fichiert zu werden.»

Aus der Geschichte lernen?

Ein Blick in die Geschichte des Schweizer Geheimdienstes zeigt, dass das Problem des rechtlich fragwürdigen oder gar widerrechtlichen Daten­sammelns ein altes ist.

Noch im Kalten Krieg beschafften verschiedene Stellen von Bund und Kantonen Informationen zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit – viele nötige, aber noch mehr unnötige. Die berüchtigtste dieser Stellen war die Geheimorganisation P 27.

Diese flog Ende der 1980er-Jahre auf – zusammen mit dem Fichenskandal. Es zeigte sich, dass der Nachrichten­dienst, der damals noch politische Polizei hiess, fast eine Million Fichen über Personen, politische Organisationen und Parteien angelegt hatte. Viele von ihnen waren völlig unverdächtig.

Die damit beauftragte parlamentarische Untersuchungs­kommission (PUK) hielt dazu 1989 und 1990 fest: «Im Bereich der politischen Polizei herrschte weitgehend Konzeptions­losigkeit. (…) Dies führte zu unsachgemässen und teilweise sogar willkürlichen Informations­beschaffungs- und -verarbeitungs­methoden. (…) Der Begriff des blossen Dilettantismus wird diesem Phänomen nicht mehr gerecht.»

Bis dahin gab es kaum rechtliche Grundlagen für die Beschaffung nachrichten­dienstlicher Informationen. Eine erste, die diesen Namen auch verdiente, entstand 2007 mit dem Gesetz zur inneren Sicherheit.

Doch der Nachrichten­dienst des Bundes sammelte weiter Daten, als ob es das Gesetz nicht gäbe.

2010 veröffentlichte die Geschäfts­prüfungs­delegation des Parlaments, die den Geheimdienst beaufsichtigte, ihren Untersuchungs­bericht zu dessen sogenannter Isis-Datenbank. Der Dienst hatte zu dieser Zeit noch immer Informationen von nahezu 300’000 Personen gespeichert. Die Bilanz der politischen Aufsicht war denn auch vernichtend: «Dieser Ist-Zustand der Isis-Daten stellt auch die Zweckmässigkeit des Staatsschutzes grundlegend in Frage. Die Beschaffung, Bearbeitung und Aufbewahrung von falschen und unnötigen Daten beeinträchtigen eine wirksame Arbeit zugunsten der inneren Sicherheit. Sie können zu Fehl­leistungen und Pannen führen, welche letztlich die Sicherheit des Landes gefährden.»

Doch die Kritik des Parlaments verhallte einmal mehr im Nichts. Der Geheimdienst sammelte uneingeschränkt weiter Daten, und so musste die Geschäfts­prüfungs­delegation 2020 in einem weiteren Bericht festhalten: «Die Mehrheit der Zeitungsartikel und Meldungen von Nachrichten­agenturen sowie die Texte von Internetseiten, welche beim Nachrichten­dienst ediert wurden, hätten vom Dienst weder beschafft noch bearbeitet werden dürfen.» Und sie fragte sich, «warum der NDB Tausende von Pressemeldungen beschafft, für deren Bearbeitung offensichtlich niemand Zeit hat». Damals soll es in den Datenbanken des Geheimdienstes 7,7 Millionen Dokumente gegeben haben.

Aus der Geschichte lernen? Das war weniger die Art des Nachrichten­dienstes.

Rechtfertigen, rechtfertigen, rechtfertigen

Im Gegenteil: Im August 2017 erliess der Nachrichten­dienst unter seinem damaligen Direktor Markus Seiler (der drei Monate später Generalsekretär von Aussenminister Ignazio Cassis werden sollte) verschiedene Weisungen. Mit diesen legalisierte er scheinbar seine Fichen über Parteien, Organisationen und Personen. Deren Daten würden, argumentierte der NDB, verstreut in ganz verschiedenen Daten­banken abgelegt. Deshalb seien sie nicht «personen­bezogen erschlossen» und fielen nicht unter die Bestimmungen des Nachrichten­dienst­gesetzes.

Falsch, hielten später sowohl die Geschäfts­prüfungs­delegation des Parlaments als auch das Bundesamt für Justiz fest. Alle erfassten Daten des Nachrichten­dienstes seien sehr wohl «personenbezogen erschlossen» – aus dem einfachen Grund, weil sie per Suchmaschine und Suchbegriffe über die verschiedenen Datenbanken hinweg gefunden werden könnten. Darum habe der NDB zu Unrecht Informationen über unverdächtige Parteien, Organisationen und Politiker gesammelt und gespeichert.

In der Folge löschte der Nachrichten­dienst zwar mehr als drei Millionen Einträge in seinen Daten­banken. Er verteidigte aber weiter die Beschaffung von Informationen über unverdächtige Parteien, Organisationen und Personen.

So schrieb er in praktisch allen Antworten auf die Auskunfts­gesuche der letzten zwei Jahre: «Der Nachrichten­dienst arbeitet nach den gesetzlichen Vorgaben.» Es gehe ihm in keiner Weise um die Überwachung der politischen Betätigung oder um Informationen über die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungs­freiheit in der Schweiz.

Man weiss nicht, ob er das mehr aus Überzeugung, aus Trotz oder aus Uneinsichtigkeit schrieb.

Ausführlicher, aber grundsätzlich nicht anders, rechtfertigt der Nachrichten­dienst heute seine Beschaffung von Informationen und den Umgang mit ihnen. Nämlich so: Er sammle nur Daten, die er sammeln dürfe. Gemäss Gesetz sind das solche, die «dem frühzeitigen Erkennen und Verhindern von Bedrohungen der inneren oder äusseren Sicherheit» dienen, Bedrohungen etwa durch Terrorismus, gewalttätigen Extremismus oder die Weiter­verbreitung nuklearer, biologischer oder chemischer Waffen.

Er lösche alle Daten, die keinen Bezug zu dieser Aufgabe hätten, spätestens nach einem Jahr.

Er gebe Interessierten Auskunft über die gesammelten Daten, wie es das Gesetz vorschreibe. Schliesslich kritisieren viele Fichierte auch das: dass der Nachrichten­dienst in seinen Antworten auf ihre Auskunfts­gesuche unverhältnismässig viele Passagen «aus Geheimhaltungs­gründen und zum Schutz Dritter» schwärzte oder deren Offenlegung auf einen späteren Zeitpunkt aufschob (was gemäss Gesetz möglich ist).

Die Stellungnahme des Nachrichtendienstes:

Er überwache keine Parlamentarier, politischen Gruppierungen oder Parteien, hält der Nachrichten­dienst des Bundes (NDB) auf Anfrage der Republik fest. Dass er das Gesetz «immer vollumfänglich eingehalten» habe, sei vom Bundesrat bereits in der Stellungnahme zu einer Interpellation festgehalten worden. Dort heisst es, es sei mit dem Nachrichten­dienst­gesetz vereinbar, dass Dokumente aus öffentlichen Quellen oder Meldungen zu Demonstrationen mit Gewaltpotenzial abgelegt werden, «wenn die Information einen Bezug zu den gesetzlichen Aufgaben des NDB aufweist».

In der Antwort des Bundesrates auf eine andere Interpellation heisse es, der Nachrichten­dienst beschaffe keine Medienartikel über Parlaments­mitglieder oder lege diese in seinen Systemen ab. Er dürfe aber Artikel, die das Aufgaben­gebiet des NDB betreffen, beschaffen und «im Hinblick auf die integrale Lagebeurteilung» auswerten.

Seine Informations­beschaffung diene «dem frühzeitigen Erkennen und Verhindern von Bedrohungen der inneren und äusseren Sicherheit», hält der NDB weiter fest. Informationen über Parteien, politische Gruppierungen oder Parlamentarier würden nicht beschafft, «da diese keine Bedrohung für die innere und äussere Sicherheit darstellen. Nur wenn sich der NDB in Erfüllung seiner Aufgaben für eine Person oder Organisation interessiert, beschafft er Informationen aus öffentlich und nicht öffentlich zugänglichen Informationsquellen.»

Der Vorwurf, der Nachrichten­dienst missachte die Empfehlungen der Geschäfts­prüfungs­delegation (GPDel) des Parlaments, sei unberechtigt. Die 20 Massnahmen, welche die GPDel in ihrem im Januar 2020 veröffentlichten Tätigkeitsbericht vorgeschlagen habe, seien «ausnahmslos umgesetzt oder sind in Umsetzung».

Unabhängig von der öffentlichen Diskussion habe der ehemalige NDB-Direktor Jean-Philippe Gaudin zudem zahlreiche Massnahmen beschlossen, um sicherzustellen, dass der Datenbestand «auf ein notwendiges Minimum reduziert» und die Vorgaben des Nachrichten­dienst­gesetzes eingehalten würden.

In diesem Zusammenhang sei die maximale Aufbewahrungs­frist für unstrukturiert abgelegte Pressemeldungen von 15 Jahren auf 2 Jahre verkürzt und seien bis Ende 2020 3 bis 4 Millionen Daten gelöscht worden. Der NDB prüfe zudem derzeit, «ob es noch weitere Datenbestände gibt, die zwar rechtlich zulässig sind, aber ebenfalls reduziert werden können».

Nach der Kritik der GPDel an der Datenhaltung des NDB habe man weitere umfangreiche Datenbestände gelöscht. Die zuständigen Mitarbeiter seien zudem geschult worden, die eingehenden Meldungen daraufhin zu prüfen, ob sie keinen Aufgabenbezug haben oder unter die Daten­bearbeitungs­schranke fallen. Sei dies der Fall, habe man Anonymisierungen vorgenommen.

Ebenfalls unberechtigt sei der Vorwurf, der NDB beantworte Auskunftsgesuche nur selektiv, schwärze unverhältnismässig viele Passagen und verfüge unverhältnismässig oft Aufschübe. 2019 und 2020 habe man weit über tausend Auskunftsgesuche erhalten, während es in den Vorjahren jeweils weniger als hundert Gesuche gewesen seien. Das übersteige die Kapazitäten der Datenschutz­beratung bei weitem. Man habe daher zusätzliche Mitarbeiterinnen zur Bearbeitung der Auskunftsgesuche hinzugezogen.

Der NDB hält fest, er sei in allen Fällen seiner Auskunftspflicht nachgekommen und werde das auch in Zukunft tun. Schwärzungen würden nicht nur aus Geheimhaltungs­interessen, sondern auch zum Schutz Dritter vorgenommen.

Im Grundsatz alles richtig, im Grundsatz alles gut, sagt also der Geheimdienst.

Doch: Wegen der Kritik von parlamentarischer Aufsicht, von Nicht­regierungs­organisationen und von Medien hat er in den letzten zwei Jahren weitere Daten gelöscht. «Der Nachrichten­dienst unternahm 2020 und 2021 grosse Anstrengungen, um seine Datenbestände zu bereinigen», sagt eine Sprecherin.

Und im letzten September hat der Nachrichten­dienst neue Weisungen zu seinen Datenbanken erlassen. Seither würden die zuständigen Mitarbeiterinnen vor der Abspeicherung einer Information prüfen, ob diese einen «Aufgabenbezug» aufweise und für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des NDB tatsächlich benötigt werde, sagt die Sprecherin. Inhalte, die diesen «Aufgabenbezug» nicht hätten, würden anonymisiert oder, wo das noch nicht geschehen sei, einer Verwendungs­sperre unterstellt.

Er kennt uns alle

Noch ist nicht klar, ob dadurch die Heuhaufen des Schweizer Geheim­dienstes wirklich kleiner werden. Klar ist ebenso wenig, wie gross sie heute sind. «Diese vertraulichen Kennzahlen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt», sagt die NDB-Sprecherin.

So scheint bis auf weiteres der Satz zu gelten, den Keith Alexander 2013 gesagt hat: «Man braucht die Daten, man braucht den Heuhaufen, um die Nadel zu finden

Alexander ist übrigens längst nicht mehr NSA-Direktor. Nach seiner Absetzung trat er in verschiedenen Late-Night-Shows auf und wurde Unternehmens­berater für Daten­sicherheit. Für eine der Shows wurde der ehemalige Direktor des Geheim­dienstes wie folgt angekündigt: «Schalten Sie ein, um ihn kennenzulernen. Er selbst kennt Sie schon.»

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