«Sebastian Kurz fummelt im Sicherungs­kasten der Demokratie»

Florian Klenk, Chefredaktor des «Falter», hat mit seiner Redaktion aufgedeckt, wie der österreichische Bundeskanzler frisierte und manipulierte – und wurde dafür von der Regierung attackiert, verklagt, verleumdet. Ein Gespräch über Journalismus in Zeiten des schwelenden Autoritarismus.

Von Daniel Ryser (Text) und Lukas Gansterer (Bilder), 21.10.2021

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Seit 2012 ist er Chefredaktor des Wiener Wochenmagazins «Falter», in dieser Zeit hat sich die Leserinnenzahl von knapp 100’000 auf 240’000 gesteigert: Florian Klenk im Gmoakeller im 3. Wiener Gemeindebezirk.

Jetzt ist schon wieder was passiert. Herr Klenk komme deshalb eine halbe Stunde später zum Essen in den Gasthof Gmoakeller, lässt die Redaktions­assistenz ausrichten. Und als er schliesslich auftaucht und Platz nimmt, springt er sofort wieder auf, denn, man glaubt es ja gar nicht, am Nebentisch sitzt der frühere ÖVP-Justiz­minister, Vizekanzler und Richter am Verfassungs­gerichtshof Wolfgang Brandstetter; zusammen mit einem Mann, der vermutlich noch mächtiger ist, als es der Brandstetter jemals gewesen ist, Christian Konrad, ehemaliger General­anwalt und Aufsichtsrats­präsident der österreichischen Raiffeisen-Bank.

Und weil dies Österreich ist, laufen gegen Brandstetter seit Februar Ermittlungen wegen Amts­missbrauchs. Als Verfassungs­richter zurück­getreten ist er allerdings nicht sofort, sondern erst im Sommer, nachdem damals schon Chat-Protokolle publik geworden waren mit abschätzigen Bemerkungen Brandstetters über den Verfassungs­gerichtshof und so weiter.

«Die richtige Kulisse für unser Gespräch», freut sich Florian Klenk. Die Republik wollte ihn treffen, weil er im Mai 2019 mit der Wochen­zeitung «Falter» an der Publikation des sogenannten Ibiza-Videos beteiligt gewesen war, das Österreich erschüttert hat und noch immer erschüttert. Und zum Bruch der damaligen Regierungs­koalition aus ÖVP und FPÖ führte. Seine Redaktion hat in den letzten Jahren mehrfach Recherchen publiziert, die aufzeigten, wie Kanzler Kurz das Land manipulierte – Klenk wurde dafür von der Regierung verleumdet, mit Schützen­hilfe der Boulevard­medien.

Wie hält man das als Journalist aus?

Erster Teil: Der Zugriff

Es ist wie in einem Kriminal­roman von Wolf Haas: Schon wieder ist etwas passiert. Sie haben sich deshalb verspätet. Was war denn jetzt wieder?
Jetzt wurde gerade die Beinschab enthaftet.

Die Beinschab enthaftet?
Die Meinungs­forscherin Sabine Beinschab, die für die Kurz-Regierung die frisierten Studien gemacht hat und diese Studien mit Schein­rechnungen dem Finanz­ministerium verrechnet haben soll.

Enthaftet heisst: Sie sass im Gefängnis?
Ja, zwei Nächte lang. Da bei ihr die Verdachts­lage sehr dicht ist, wird ihr Untreue vorgeworfen, und zwar in Höhe von 140’000 Euro. Vor der Haus­durchsuchung am vorvergangenen Mittwoch haben auf ihrem Handy grosse Löschungen stattgefunden. Das kann die Staats­anwaltschaft belegen. Dass sie versucht hat, ihre Chats mit Mitbeschuldigten zu löschen. Und zwar nur wenige Stunden vor der Haus­durchsuchung.

Erfolgreich?
Das wissen wir noch nicht. Die Frage ist jetzt natürlich: Wer hat sie gewarnt? Auf jeden Fall hat man sie festgenommen wegen Verdunkelungs­gefahr, und jetzt hat sie zwei Nächte im Knast verbracht, und heute wurde sie freigelassen. Die nächste Frage, auf die wir jetzt gerne eine Antwort hätten: Ob sie sich als Kron­zeugin angeboten hat.

Und?
Ich glaub schon.

Dass Sabine Beinschab, die einzige Frau in diesem Geflecht, als Erste fällt, war das absehbar?
Bei ihr ist der dringende Verdacht halt sehr deutlich dokumentiert durch die Chats. Aber es ist interessant, dass ausgerechnet die Frau sitzt. Da hat man ein Young-Boys-Network, und wer sitzt? Die Frau. Da wurde es in den Chats, die uns vorliegen, ja auch sehr persönlich.

Wie meinen Sie das?
Das möchte ich nicht ausbreiten. Aber natürlich sieht es nicht gut aus für Frau Beinschab: Sie hat viel Geld kassiert für ihre frisierten Umfragen. Umfragen, welche die Regierung Kurz gut haben aussehen lassen. Und wenn sich jetzt rausstellt, dass diese angeblichen unabhängigen Umfragen auch noch vom Finanz­ministerium bezahlt wurden, dann haben die schon ein echtes Problem. Und zwar beide Seiten. Das Löschen der Daten vor der Haus­durchsuchung ist zudem Verdunkelungs­gefahr. Da kommt schon einiges zusammen.

Fangen wir vorne an.
Warum sollen sich Schweizer eigentlich für dieses Alpenland östlich von ihnen interessieren? Und das, was da jetzt gerade passiert? Die grosse Frage über dem Klein-Klein lautet: Hat einer der erfolgreichsten, im Ausland sehr bewunderten Jung­politiker der Konservativen, der Sebastian Kurz, einen Teil seines Erfolgs eingefahren, weil er mit Steuer­mitteln Fake News produziert hat, diese Fake News mit Steuer­mitteln in Tages­zeitungen verbreitete und das Ganze am Schluss auch noch dem Steuer­zahler verrechnete? Und wenn dem so wäre, wäre das ein weiteres Mosaik­stück in der Art und Weise, wie dieser Mann Politik macht, nämlich so, dass er Kontroll­sicherungen des Sicherungs­apparats der Republik rausdreht, die Justiz­schraube, die parlamentarische Kontroll­schraube, die Medien­schraube, die Schraube der unabhängigen Experten, und jetzt auch die Schraube der Demoskopie, der Meinungs­forschung? Das ist das grössere Bild.

Da stellte sich dann auch die Frage nach dem Motiv.
Richtig.

Dass wir überhaupt imstande sind, diese Fragen zu stellen, das geht auf das Ibiza-Video zurück, richtig? Da beginnt die Geschichte?
Ja, sie beginnt in Ibiza. Es ist der 17. Mai 2019 um exakt 18 Uhr, als die Republik Österreich auf Videos Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus sieht in der Finca in Sant Rafael, mit dem Wamperl überm Gürtel, der Wodka-Flasche in der Hand, und der Herr Strache sagt: «Die Journalisten sind die grössten Huren auf dem Planeten.» Zweitens sagt er, ich vercheck dir, Oligarchen­nichte, die «Kronen Zeitung». Da hauen wir zack, zack, zack, fünf Leute raus und stellen drei rein, dann schreibt die «Krone» uns an die Macht, und wenn uns das gelingt, dann kriegst du Staats­aufträge. Wegen dieses Videos musste Strache gehen.

Aber nicht ins Gefängnis?
Das Glück vom Strache war, dass er zu dem Zeitpunkt noch nicht Vizekanzler war und damals in seiner Position als Abgeordneter das In-Aussicht-Stellen von Vorteilen noch nicht strafbar war. Daher ist Strache, was das Video anbelangt, straflos geblieben. Politisch war die Angelegenheit natürlich verheerend. Im Video kommt er auch auf den Heinrich Pecina zu sprechen, den Gründer des Investment­hauses Vienna Capital Partners. Das ist die Firma, die in Ungarn alle kleinen regionalen Medien zusammen­gekauft, gebündelt und dem Orbán gegeben hat. Diesen Investor hat Strache im Video für die Übernahme der «Kronen Zeitung» empfohlen. Es war also schon ernst. Es war nicht nur Gequatsche.

Was ist dann passiert?
Das hat die Leute schon aufgeschreckt. Die «Kronen Zeitung» hat 2 Millionen Leser. Das wäre, wie wenn die «Bild» in Deutschland 20 Millionen Leser hätte. Es traf offenbar ein, was schon immer vermutet wurde: Strache will das Medien­wesen zerstören. Und Strache sagte in dem Video noch mehr. Es ging dabei nicht nur um Medien, es ging auch um Parteien­finanzierung. Strache sagte: Die Novomatic, ein Glücks­spiel­konzern aus Nieder­österreich, der zahle «alle drei».

Novomatic?
Der Konzern macht einen Umsatz von 4 Milliarden Euro. Ein Konzern, der mit speziellen Spielautomaten ein Vermögen gemacht hat, wofür man eine Gesetzes­lücke ausnutzte, nämlich, dass da nirgendwo im Gesetz steht, wie lange so ein Spiel dauern darf. Novomatic hat also Automaten erfunden, die man auf der ganzen Welt verkauft, wo man ein kleines Glücks­spiel in einer Zehntel­sekunde spielen kann, und viele Leute wurden dadurch sehr arm und Novomatic unendlich reich. Die Frage war immer: Warum wurden diese Glücks­spiel­automaten genehmigt in Österreich? Ein Verdacht war, dass die Firma sehr stark das politische System mit Sponsoring und Förderungen versorgt hat. Und da in dem Video fällt also der Satz: «Novomatic zahlt alle.»

Und dann?
Daraufhin flattert bei der WKStA, der Wirtschafts- und Korruptionsstaats­anwaltschaft in Wien, eine anonyme Anzeige herein. Da steht drin, dass es einen Deal gab zwischen der Kurz-Strache-Regierung und den Casinos und der Novomatic, und zwar, um gegen Bezahlungen und Vorteile ein Gesetz zu schreiben für die Glücksspiel­branche. In dieser Anzeige waren ganz viele Namen genannt. Finanz­minister, ehemalige Finanz­minister, Staats­sekretäre, die CEOs der Novomatic, hohe Raiffeisen-Banker. Die halbe Republik. Normaler­weise wäre es in Österreich so, dass der Staatsanwalt, der die Anzeige kriegt, wo all diese Namen drinstehen, die Anzeige hinlegt, seinen Vorgesetzten anruft, der Vorgesetzte liest es dann, legt es hin. Dann ruft auch der wieder seinen Vorgesetzten an, der ruft dann den Ober­staatsanwalt an, der ruft den Ober­ober­staatsanwalt an, dann gehts zum Ministerium, dann sind drei Jahre vergangen, dann geht es zurück. Dann steht drei Wochen bevor die Haus­durchsuchung stattfindet in der «Kronen Zeitung», dass eine Haus­durchsuchung stattfindet, und das Verfahren wird eingestellt.

Willkommen in Österreich.
Nur diesmal lief es anders.

Was heisst das?
Etwas Interessantes passierte: In diesem Fall nämlich hat die Wirtschafts- und Korruptions­staatsanwaltschaft im August 2019 einfach eine Hausdurch­suchung gemacht. Die habens einfach gmacht. Die sind ausgerückt, und zwar nicht nur zu einer Person, sondern zu allen, die in der Anzeige drinstehen, und haben sich deren Handys genommen. Die sind so ausgerückt, dass sie zeitgleich aufgetaucht sind. Sie haben vorher die Handys gepeilt von diesen ganzen mächtigen Leuten. Von Strache. Von Gudenus. Vom Novomatic-Vorstands­vorsitzenden. Und so weiter. Das war ein echter «Mani-pulite»-Moment. Die Korruptions­ermittler sind hingegangen und haben gesagt: «Wir holen uns jetzt wirklich die Handys. Wir warnen da nicht.»

Und da war, mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen, also auch das Handy von Thomas Schmid dabei, dem ehemaligen General­sekretär im Finanz­ministerium, wo dann all diese Chats gefunden wurden, derent­wegen dann Kanzler Kurz zurück­getreten ist? Das war ein Zufalls­fund?
Zuerst einmal war ja da das Handy von Herrn Strache. Das war schon mal Stoff für zehn Jahre, hat Andreas Mölzer gesagt, der FPÖ-Vordenker. Von der Brisanz von Schmids Handy wussten die Ermittler noch gar nichts. Die Ermittler haben nach der Anzeige noch einen zweiten anonymen Brief bekommen. Dass sie aufpassen sollen, weil im Innen­ministerium einige ÖVP-nahe Beamte sitzen, die diese Ermittlungen möglicher­weise nicht ernst genug nehmen, um nicht zu sagen: torpedieren. Und die Ermittler sind dann tatsächlich später draufgekommen, dass einer der Beamten, einer der Ermittler in der Sache, Herrn Strache nach dem Ibiza-Video eine SMS geschickt hat: «Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt … die Politik braucht dich! Alles Gute für alles Weitere. LG Niko.» Die WKStA ist also sehr misstrauisch und tut nun Folgendes: Die haben gesagt, normaler­weise geben wir diese Handys der Polizei, um sie auszuwerten. Aber wir werten die jetzt selber aus.

Die Ermittler der Sonder­staats­anwaltschaft vertrauten der Polizei nicht?
Richtig. Die haben angefangen, eine eigene Analyse­abteilung aufzubauen, um diese Handys relativ schnell auszuwerten. Und sie haben nicht nur die Handys ausgewertet, sie haben auch die Kalender­einträge, die E-Mails, die Schrift­stücke ausgewertet und wie Archäologen diese Informationen zu einer Geschichte verwoben. Und auf einmal ist vor ihren Augen, sozusagen in Realtime, die ganze Ära Kurz erwacht.

«Es ist spannend, in diesem Land Journalismus zu machen …
… das Glück dabei ist, du wirst als Journalist nicht erschossen. Du wirst auch nicht verprügelt …
… es werden dir die Inserate gekürzt.»

Florian Klenk hat uns für das Gespräch in den Gmoakeller im 3. Wiener Gemeinde­bezirk geladen, ein Traditions­restaurant. Von den fünfzig Speisen auf der Karte ist nur ein einziges vegetarisch, und die einstige Inhaberin des Kellers, die Grete Novak, die hatte die Angewohnheit, jeden, der nicht vom gesitteten Konzert, sondern vom Catchen am gegenüber­liegenden Heumarkt kam, gleich wieder aus dem Lokal zu werfen, und einmal kam ein Mann in den Gmoakeller, und sie fragte ihn, ob er vom Konzert komme, und er sagte, Nein, er komme nicht vom Konzert, und sie sagte, dann verschwinde gleich wieder, und dann sagte ihre Schwester, die Mitzi, berühmt für ihre gebackene Leber, das ist übrigens der Herr Bundes­kanzler, der Vranitzky. Und wenn die Leute rumgeknutscht haben im Lokal, dann hat die Grete gesagt, nehmts euch ein Hotel­zimmer, gehts in den Park. Und im Herbst 1998 erhielt sie das Goldene Ehren­zeichen der Republik Österreich für ihre «anerkennens­werten Verdienste für die heimische Beisl-Kultur», und dann ist die Grete an Lungen­krebs gestorben, weil im Gmoakeller so wahnsinnig viel geraucht wurde.

Zweiter Teil: Geld in den Arsch blasen

Die Ermittler sind zufällig auf die Chats gestossen, die den Bundes­kanzler zum Rücktritt zwangen. Was war denn, abgesehen vom Straf­rechtlichen, besonders an diesen Chats?
Dass man gesehen hat, wie die reden. Wie die ins Amt gekommen sind. Wie sie die mächtigsten Jobs der Republik vergeben. Wie sie über Journalisten denken. Wie sie Journalisten bezahlen. Wie sie Positionen in staatsnahen Unter­nehmen vergeben. All das, was da sozusagen sichtbar geworden ist, war das Gegenteil von dem, was Bundes­kanzler Sebastian Kurz öffentlich immer gesagt hat. Dass er einen neuen Stil einführen wolle. Dass er sich nicht am Anpatzen beteiligen wolle. Dass der Bessere gewinnen solle. Aber das, was hier sichtbar wurde, war das alte System – und zwar ärger als je zuvor.

Ärger als je zuvor?
Die Ermittler haben nun also diese Hunderttausenden Chats, und das eine führt zum anderen. Wir haben bis heute, in folgender Reihenfolge, den Ibiza-Komplex, daraus wird der Casinos-Komplex mit den genannten Haus­durchsuchungen, das führt dann mittels weiterer Chats zur Korruptions­affäre um die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG). In diesem Zusammen­hang soll Bundes­kanzler Kurz vor dem Untersuchungs­ausschuss Falsch­aussagen gemacht haben. Und daraus ist nun die Inserate­affäre geworden. Es wird mehr und mehr. Diese Chats muss man sich vorstellen wie einen Schachtel­kasperl. Wenn man die erste Box öffnet, kommt die nächste Box, und dann die nächste Box. Die öffnen in der Staats­anwaltschaft gerade eine Box nach der anderen, zuerst steht Ibiza drauf, dann steht Casinos drauf, dann ÖBAG, dann Falsch­aussage Kurz, dann Inserate­affäre, und die grosse Frage ist, ob der Kasperl, der da am Schluss zur letzten Box rausspringt, ob dieser Kasperl Sebastian Kurz ist. Ob er die Trieb­feder des Ganzen ist.

Warum kann die Öffentlichkeit das eigentlich alles mitlesen?
Weil in diesem Ibiza-Komplex inzwischen so viele Beschuldigte sind und so viele Geschädigte. Und alle Involvierten, Beschuldigte und Geschädigte, haben Akten­einsicht. Jeder, der da irgendwie vorkommt als Beschuldigter, darf mit seinem Anwalt eine Kopie der gesamten Akten haben. Zudem hat es einen parlamentarischen Unter­suchungs­ausschuss gegeben. Dessen Mitgliedern liegen dann die gesamten Akten vor, nicht nur die strafrechtlich relevanten Aspekte. Natürlich pflegen wir als Journalisten jetzt unsere Kontakte zu Parlamentariern und Anwälten, um an diese Informationen zu kommen.

Im Februar 2021 wollte Sebastian Kurz den Medien das Zitieren aus Akten verbieten lassen.
Genau deshalb. Das hätte bedeutet, dass wir das alles, worüber jetzt berichtet wurde, nicht erfahren hätten. Und Kurz wäre immer noch Kanzler.

Die Regierung wollte verhindern, dass die Medien darüber berichten, was von grossem öffentlichem Interesse ist?
Es ist zutiefst zuwider. Natürlich hat ein Beschuldigter das Recht, so lange als unschuldig betrachtet zu werden, bis die Vorwürfe geklärt sind. Aber wir reden ja nicht von der Mitzi vom Heumarkt, die ein Steuer­verfahren am Hals hat, weil sie die Leber falsch abgerechnet hat, sondern wir reden hier von den Chats des österreichischen Bundes­kanzlers in seinem Amt. Wir reden nicht über private Chats. Wir reden nicht über die Chats, die Kurz seiner Lebens­gefährtin schreibt. Wir reden davon, wie öffentliche Posten vergeben werden.

Von aussen hatte man langsam, aber sicher das Gefühl: Österreich ist kurz davor, autoritär zu werden.
Wir erleben gerade eine Hochblüte der Kontroll­institutionen. Eine aufgewachte Wirtschafts- und Korruptions­staats­anwaltschaft. Vier Staats­anwälte sind das. Die eine ist jetzt weggegangen, sie hat öffentlich erklärt, dass der politische Druck zu hoch war, je mehr die ÖVP in den Fokus geriet. Sie ist jetzt Teil eines Anti-Korruptions-Volks­begehrens. Die vier hatten den internen Kosenamen «The Fab Four». Denen sollte man hier im Stadtpark ein grosses Denkmal aufstellen. Die «Fab Four» klären beharrlich nur den Sach­verhalt. Was eigentlich eine Justiz­behörde tun sollte. Das ist die erste von zwei starken Sicherungen im Staat Österreich, die funktioniert.

Und die zweite?
Die zweite ist, dass wir im Medien­wesen doch einige Leute haben, die gut arbeiten. Auch wenn es wenige sind. Zu viele Medienleute wirken am Detail desinteressiert. Zu viele lassen sich Propaganda reindrücken. Aber es gibt im «Standard», im «Profil», auch in der «Presse», auch im ORF, eine Handvoll gute, investigative Journalisten. Die machen im Moment ja nicht investigative Recherche, sondern etwas, das ebenso wichtig ist: report on investigation. Es gibt investigativen Journalismus in dem Sinne, dass wir Journalistinnen etwas recherchieren. In diesem Fall aber berichten wir ja eigentlich über die Recherchen der WKStA, weil wir ja selbst keine Handys beschlagnahmen können. Wir Journalisten müssen aber schauen, dass wir an diese Dokumente heran­kommen und die richtigen Fragen stellen, diese Ermittlungen verständlich den Leuten näherbringen und auch schauen, ob die Ermitt­lungen ein Schas sind oder ob sie fundiert sind.

Eine Mediensorte haben Sie jetzt weggelassen: Leute wie die Gebrüder Fellner, denen vorgeworfen wird, der Regierung gegen Geld in Form von staatlichen Regierungs­aufträgen Jubel­bericht­erstattung in der Gratis­zeitung «Österreich» versprochen zu haben.
Es ist spannend, in diesem Land Journalismus zu machen. Das Glück dabei ist, du wirst als Journalist nicht erschossen. Du wirst auch nicht verprügelt. Es werden dir die Inserate gekürzt. Darf ich ausholen?

Bitte.
Es gibt verschiedene Methoden, Medien kaputt­zumachen. Möglichkeit eins: Ich gründe eigene. So wie sich Strache einen grossen Social-Media-Account aufgebaut hat. Ich engagiere dafür bekannte Journalisten, die mir ein paar Fragen stellen, sodass ich bei den Leuten das Gefühl erwecke, ich werde von Journalisten interviewt. Aber eigentlich habe ich mir Journalisten gekauft. Das hat Sebastian Kurz getan.

Möglichkeit zwei?
Ich entziehe den kritischen Medien die Mittel. «News»-Chef Horst Pirker hat mir in einem Interview gesagt, dass das Finanz­ministerium dem «News»-Konzern, der mehrere Titel rausbringt bis zur «Autorevue», alle Inserate gestrichen hat, weil «News» kritisch über die ÖVP berichtete. Unfassbar: Ein Finanzminister streicht Regierungs­inserate, weil kritisch über eine Partei berichtet wird. Es hat kaum für Aufsehen gesorgt. Uns haben sie übrigens auch fast alle Inserate gestrichen, was uns dazu gebracht hat, dass wir immer mehr zu einer Abonnement­zeitung werden. Möglichkeit drei: Man greift Journalisten konkret an. Mit mir hat man das auch versucht. Nachdem das Recherche­team des «Falter» die ÖVP-Buch­haltung veröffentlicht hatte. Man versuchte mich mit falschen Vorwürfen zum Ibiza-Video anzugreifen. Die ÖVP-Sprecher haben einfach behauptet, ich hätte das Video manipuliert, um einen «Falter»-Miteigentümer zu schützen. Eine erfundene Geschichte. «Das Karten­haus der Opposition bricht zusammen», hat die ÖVP in ihrem offiziellen Parlaments­organ geschrieben und mich auf einer Collage in die Mitte der politischen Opposition gestellt. Die Trump-Methode: Media is opposition. Und der Kurz hat das retweetet. Der Bundes­kanzler der Republik Österreich retweetet diesen Scheiss an seine 400’000 Follower. Scheiss ist an dieser Stelle zitierbar. Der Bundes­kanzler der Republik Österreich verbreitet einen erfundenen Scheiss. Von der FPÖ in der Opposition ist man das gewohnt, aber das ist der Bundes­kanzler.

Und die vierte Methode, Medien kaputt­zumachen?
Sie haben das Hintergrund­gespräch erfunden. Ich mache eine Presse­konferenz, nenne es Hintergrund­gespräch und lade nur ausgewählte Journalisten ein. Mein Kollege Josef Redl hat beim «Falter» aufgedeckt, dass Kurz in seinen Buchhaltungs­unterlagen absichtlich die Obergrenze für Wahlkampf­mittel überschritten hat, und zwar um mehrere Millionen. Herr Kurz macht daraufhin ein Hintergrund­gespräch, lädt ausgewählte, eher freundlich gesinnte Journalisten ein. Wir, die es aufgedeckt haben, werden nicht eingeladen. Er verteilt dann in diesem Hinter­grund­gespräch ein Papier, in dem er uns alles Mögliche an den Kopf wirft. Behauptet, wir hätten die Dokumente gefälscht. Was nicht stimmte. Wir konnten ja alles belegen. Im Jänner 2020 dann hat Kurz zum Hintergrund­gespräch geladen, da waren wir auch dabei, wo er zum ersten Mal gesagt hat, was er später wiederholt hat: Dass die WKStA ein linkes Netzwerk sei. Völliger Blödsinn. Die sind kein linkes Netzwerk. Das Justiz­ministerium ist mit kurzem Unter­bruch seit 20 Jahren schwarz regiert. Aber er streut diese Gerüchte, diese Angriffe auf die Justiz, und das taucht dann in den Boulevard­medien auf.

Damit sprechen wir auch von der Gratis­zeitung «Österreich» und ihrer Jubel­bericht­erstattung.
Und damit kommen wir zu den Fellners.

Wunderbar.
Es ist eine weitere Möglichkeit, die Medien zu missbrauchen: den Fellners Geld in den Aller­wertesten zu blasen, und zwar dafür, dass sie frisierte Studien publizieren.

Ausführen, bitte.
Jetzt kommen wir in den strafrechtlichen Bereich. Jetzt wird es juristisch spannend. Die Staats­anwaltschaft sagt Folgendes: Wenn es stimmt – und in den Chats verdichtet sich dieser Verdacht –, dass die Fellners Herrn Sebastian Kurz, maximal plakativ, einen Koffer voller positiver Schlagzeilen anbieten und sagen: «Du kriegst von uns Jubelberichte.» Und die Regierung nimmt den Koffer und sagt: «Für diesen Schlagzeilen-Koffer kriegt ihr Regierungs­inserate.» Was also ein Amts­geschäft ist, nämlich die Freigabe von Inseraten, und zwar durch den höchsten Beamten des Finanz­ministeriums, General­sekretär Thomas Schmid. Wenn das also stimmt, dann ist das Bestechung. Und zwar nicht die Bestechung der Medien, sondern die Bestechung der Politik durch die Medien, durch die Fellners. Das hat der Kurz, glaube ich, noch immer nicht ganz verstanden. Er hat nicht verstanden, dass nicht die Medien bestochen wurden, sondern er der Nutzniesser ist einer Bestechung eines hohen Beamten im Finanz­ministerium, des Thomas Schmid, und er in diesen Plan eingeweiht war.

Das ist der Vorwurf der Staats­anwaltschaft?
Ja. Die Staatsanwaltschaft sagt: Da das ganze System ja nur einem Menschen dient, und zwar einem Spitzen­politiker, der jede Haarlocke kontrolliert, dem kein Zufall passiert, muss er das gewusst haben. Auch darum, weil in diesen Chats auch immer wieder Andeutungen gemacht wurden. Schmid schreibt etwa Kurz in Bezug auf Sabine Beinschab: «Damit haben wir Umfragen und Co. im besprochenen Sinne.» Oder Kurz bedankt sich für Umfragen.

Wovon reden wir denn da eigentlich?
Bis zu zehn Jahre.

Für den, der bestochen hat, oder für den, der bestochen wurde?
Für beide gilt der gleiche Strafrahmen. Wenn die Vorwürfe stimmen, dann hat das Finanz­ministerium, um Aussen­minister Kurz zu bemächtigen, einen amtierenden Kanzler und einen Wider­sacher aus dem Weg zu räumen, ungefähr 1,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Dann wäre das Regierungs­kriminalität im grossen Stil.

Und die manipulierten Umfragen, wie fallen die ins Gewicht?
Wir haben bei der Geschichte zwei Stränge: Untreue und Bestechung. Die Bezahlungen dieser Beinschab-Studien durch das Finanz­ministerium durch Schein­rechnungen: Das ist die mutmassliche Untreue. Das andere ist die Vergabe der Inserate an die Fellners für Gegen­leistungen. Das ist die Bestechung. Das sind die zwei Komplexe. Es gilt das höhere Delikt. Wir reden von lang­jährigen Haftstrafen. Die österreichischen Gerichte sind bei der Korruption von Regierungs­mitgliedern extrem streng. Ex-Innen­minister Ernst Strasser musste 3 Jahre in den Knast. Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser: 8 Jahre. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, muss man dazu sagen. Das heisst, auf den aktuellen Fall umgelegt: Wenn das Gericht der Meinung ist, dass Kurz da involviert war, wird es möglicher­weise eine unbedingte Haftstrafe geben.

Würden Sie sagen, Kurz ist erledigt?
Er ist wahnsinnig angeschlagen. Aber schauen Sie, was der Boulevard jetzt schon wieder macht. Das ist es, was mich so verzweifeln lässt. Martina Salomon, Chef­redaktorin des «Kurier», betreibt schon wieder die Schuld­umkehr. Ein schleichendes Gift habe sich in diesem Land ausgebreitet, schreibt sie: Häme und Aggression. Damit meint Sie aber nicht Kurz und seine Leute, sondern jene, die den Rücktritt gefordert haben. Die Jagd­gesellschaft auf Kurz werde sowieso erst zufrieden sein, wenn das Wild samt Gefolgschaft zur Strecke gebracht sei. Klar, die Chats sind schon schlimm, ist der Tenor. Aber degoutant sei nicht das Verhalten von Kurz, sondern dass man es zur Sprache bringe.

Was ist passiert mit den Medien in Österreich?
Es gibt zwar eine staatliche Medien­förderung. Aber die Beiträge, auf die es einen Rechts­anspruch gibt, sind gering. Wir vom «Falter» kriegen jedes Jahr 70’000 Euro. Das wirklich grosse Ding sind diese Inserate. Es ist ein System aus den Neunzigern, das sich verselbstständigt hat und das reformiert werden muss. In Zeiten von Facebook und Google ergibt eine staatliche Medien­förderung durchaus Sinn. Aber das hier ist eine andere Geschichte: Es ist ein völlig intransparentes System von Inseraten der Regierung, der Ministerien, der untergeordneten staatlichen Agenturen, überall, wo der Staat mitreden kann. Das konnte – entstanden, als das Internet noch kein echtes Thema war – durchaus sinnvoll gedacht sein: Die Gemeinde Wien baut Gemeinde­wohnungen und will nun, dass die Bürger davon wissen, also platziert der Wohnbau­stadtrat Inserate in den Zeitungen. Die Politiker haben dann erkannt, dass wenn sie Inserate zahlen, dass sie dann auch positiv vorkommen. Und die Medien, die Fellners, haben erkannt, dass wenn die staatlichen Stellen keine Inserate zahlen, dann kommen sie einfach nicht vor. Oder noch schlimmer: Sie kommen schlecht vor. «Wenn du mir nix zahlst, dann schreib ich dich runter»: Das war der Vorwurf, den man aus der Politik oft in Richtung Wolfgang Fellner gehört hat. Der Herr Fellner würde das jetzt dementieren und gegen jeden klagen, der das behauptet. Aber interessanter­weise sind die Politiker, die sich mit ihm anlegen, immer sehr schlecht weggekommen. Der Kabarettist Florian Scheuba hat gesagt: «In Österreich ist aus der Presse­freiheit die Erpresse­freiheit geworden.»

Verstecken gilt nicht: Vorhang auf für Florian Klenk.

Vor dem Gespräch mit der Republik begrüsste Klenk im Gmoakeller also am Nebentisch den ehemaligen Vizekanzler und zurückgetretenen Verfassungs­richter Wolfgang Brandstetter und Christian Konrad, den einst mächtigsten Mann im Raiffeisen-Reich, und irgendwann während ihrer kurzen Unterhaltung prosten sich Brandstetter und Konrad zu, und zurück am Tisch sagt Klenk: «Konrad war während vieler Jahre Eigentümer­vertreter beim Magazin ‹Profil›. Und gerade heute Morgen ist die neue Medien­analyse erschienen, und da hat der ‹Falter› das ‹Profil› erstmals überholt: Wir haben jetzt 45’000 Abonnenten und sind damit erstmals vor dem ‹Profil› das stärkste politische Wochen­medium im Land.» Die Regierung, die immer wieder gegen den «Falter» vorgegangen ist, sie ist vorläufig zurück­gebunden, und der «Falter» blüht. Beruhigende Neuigkeiten in unruhigen Zeiten.

Dritter Teil: Aufstieg des Feschismus

In diesen jetzt publik gewordenen Chats gibt es unzählige ziemlich verrückte Zitate. Um ein bisschen besser die Mentalität von Kurz und seinen Leuten zu verstehen: Als Sebastian Kurz Aussen­minister war, torpedierte er offenbar die eigene Regierung, den eigenen ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitter­lehner. Kurz schrieb seinem Vertrauten Schmid: «Kann ich ein Bundes­land aufhetzen?» Was bedeutet das?
Die rot-schwarze SPÖ-ÖVP-Regierung von Bundeskanzler Kern und Vize­kanzler Mitterlehner wollte die Ganztags­betreuung ausbauen. Die wollten also 1,2 Milliarden freimachen für den Aufbau von Krippen­plätzen, damit alleinstehende Mütter besser Job und Familie vereinbaren können. Damit es auch im ländlichen Bereich endlich Kinder­betreuung gibt, weil im Dorf hauptsächlich Frauen darunter leiden, dass es das nicht gibt. Ein sinnvolles Unterfangen also für eine bessere Beschäftigungs­quote von Frauen und um den Gender-Pay-Gap zu bekämpfen. Der Spitzen­beamte Schmid war aber dagegen. Hat sinngemäss gemeint, es sei ein Wahnsinn, wenn wir das machen. Kurz war damals Aussen­minister. Wie macht man in der ÖVP Stimmung gegen ein Projekt der eigenen Koalitions­regierung? Indem man ein von der ÖVP regiertes Bundes­land dazu aufhetzt, gegen die eigene Regierung loszuschiessen, gegen den roten Kanzler und seinen schwarzen Vizekanzler. Herr Kurz, der immer gesagt hat: Ich beteilige mich nicht am «Anpatzen». Und gleichzeitig schreibt: «Wie kann ich ein Bundes­land aufhetzen?» Der Bundes­kanzler hat immer das, was er selbst gemacht hat, den anderen vorgeworfen. Der Bundes­kanzler hat Studien frisieren lassen und anderen vorgeworfen, das selbst zu machen. Das erste Mal habe ich ihn vor ein paar Jahren erwischt, da hat er eine Studie über islamische Kinder­gärten frisiert.

Wie meinen Sie das?
Mir wurden Unterlagen zugespielt, die Word-Dateien einer Studie über muslimische Kindergärten. In dieser Studie wurden Eltern befragt, warum sie ihre Kinder in muslimische Kinder­gärten schicken. Die Eltern haben gesagt, wir wollen, dass unsere Kinder mit Respekt, Solidarität, Höflichkeit erzogen werden. Der Chefberater von Kurz ist hingegangen und hat gesagt, wir streichen das durch und schreiben: «Wir wollen, dass unsere Kinder mit islamischen Werten aufwachsen.» Solche kleinen Manipulationen halt. Die Verantwortlichen der Studie haben das noch nicht einmal mitgekriegt. Dann sind sie mit dieser frisierten Studie zur «Kronen Zeitung» gegangen, und zwar wenige Tage nach dem Anschlag im «Bataclan», und haben gesagt: «Wir haben ein Riesen­problem, wir haben da Jihadisten in unseren Kindergärten.»

Und dann?
Die «Kronen Zeitung» hat das geschluckt und gebracht, quasi: «Kurz will jetzt aufräumen mit den Islamisten in den Kindergärten.» Als ich später diese Word-Dateien bekam, wo ich alle Änderungen der Regierung nachvollziehen konnte, habe ich meinen Augen nicht getraut: Der Stab des Aussen­ministers frisiert Studien. Er benutzt Kinder­gärten für seine Propaganda.

Ihr «Falter»-Kollege Armin Thurnher hat von einem Wandel im Konservatismus geschrieben. Wofür steht Sebastian Kurz?
Es gibt Leute wie Natascha Strobl, die sagen, das ist Rechts­extremismus im Slim-fit-Anzug. Rohe Bürgerlichkeit. Die Politik der Identitären Bewegung. Dafür kann man einige Belege finden. Aber ich sehe noch etwas anderes.

Was sehen Sie?
Die Rückkehr der Yuppies. Die guten alten Achtzigerjahre-Yuppies. Dieses anything goes. Schnoddrig nach unten, buckeln nach oben. Dieses slim fit. Das kommt mir in den Betrachtungen viel zu kurz.

Worum geht es diesen Leuten?
Es geht mit Sicherheit um eine unglaubliche Verliebtheit in die Insignien der Macht. Ein hohes Gehalt zu beziehen. Macht zu haben. Dinge steuern zu können. Gut gekleidet zu sein. Die richtige Krawatte zu tragen. Die Alten endlich aus dem Weg zu räumen. Dissidenz und Seniorität aus dem Weg zu räumen. Jeden, der widerspricht, auf die Seite zu putzen. Ein österreichischer Schrift­steller und Intellektueller erzählte mir, er habe eine Rede gehalten, eingeladen vom Integrations­fonds, einer Unterteilung des Aussen­ministeriums, das damals von Kurz geleitet wurde. Er hat in dieser Rede eine pfeffrige Abrechnung mit der Integrations­politik von Sebastian Kurz gemacht. Da hat er später einen Anruf gekriegt von einer Mitarbeiterin von Kurz, ob er sein Honorar nicht lieber spenden würde. Das Referat sei eine Themen­verfehlung gewesen. Man würde ihm natürlich das Geld schon zahlen, aber ob er es doch nicht lieber spenden wolle, wenn er schon so das Maul aufreisse. Das zeigt deutlich, welches Verständnis da herrscht.

Worum geht es Sebastian Kurz?
Es gibt eine komplizierte und eine einfache Erklärung.

Einmal einfach bitte.
Der Mann ist 1986 geboren. Mit 24 wurde er Wiener Gemeinderat. 2011, mit 25, wurde er Staatssekretär. Davor war er neben seinem Jusstudium nur Partei­funktionär bei der jungen ÖVP und jobbte als Versicherungs­verkäufer und Tennislehrer. Auf einmal aber ist er Staats­sekretär für Integration. Er hat nie irgendwas mit Integration zu tun gehabt. Mit 27 Jahren wird er Aussen­minister. Er hatte zuvor aber nie etwas mit Aussen­politik zu tun gehabt. Er hat aber immer Leute um sich geschart, die ihn beraten haben. Ich war mit ihm einmal im Iran, und da hab ich ihn aus der Nähe beobachtet, wie er im Flugzeug gesessen ist und Podcasts gehört hat. Da fand ich ihn noch ganz interessant. Ich hab ihn gefragt, was er so liest, wer seine politischen Vorbilder sind. Er hat gesagt, er habe keine Vorbilder und lesen, da wolle er jetzt auch nix sagen. Dann bin ich nochmals zu ihm hin und hab ihn gefragt, was er eigentlich hört. Und er sagt: Ich höre Reden.

Reden?
Er hat einen Youtube-Channel mit Reden abonniert, er hörte William de Hague und Barack Obama. Ich dachte: interessant. Er interessiert sich für die politische Rede. Dann wurde mir klar, wie viel dieses Bild erklärt. Auf dem Rückflug kam eine Einladung für die deutsche Talkshow «Maischberger» zum Thema Integration. Die Berater haben gesagt: «Nein, Sebastian, da gehst du nicht hin, das ist nicht deine Bühne. Du bist jetzt Staats­mann, du bist jetzt Aussen­minister.» Gerald Fleischmann, der Medien­beauftragte von Kurz, der jetzt auch in die Inserate-Angelegenheit verwickelt ist, der hat gesagt: «Sicher gehst dort hin. Da erreichst du Leute.» Und er ist hingegangen. Das empfand ich als Scheideweg: ein seriöser Jung­politiker, der fleissig arbeitet und sich in die Materie einarbeitet. Oder TV-Show. Er hat sich für die TV-Show entschieden. Sebastian Kurz ist ein Schau­steller. Ein TV-Schausteller. Der mit ausgebreiteten Händen immer das spielt, was die Umfrage vorgibt. Der immer unsicherer wurde und dadurch, dass er unsicherer wurde, sich immer nur noch Leuten anvertraut hat, die ihm nach dem Mund geredet haben. Mein Kollege Armin Thurnher hat für diese Leute den Begriff des Feschismus erfunden. Die Feschisten – fesch ist österreichisch für schön: Kurz ist ein fescher Mann. Wenn fesch sein, der Glanz, die äussere Erscheinung, wichtiger sind als das politische Programm, dann ist das Feschismus. Und der Kurz ist ein Neo-Feschist.

Das war die einfache Erklärung?
Ja.

Und die komplizierte Variante?
Dass Kurz einen perfiden Plan hat, ein Regime zu errichten. Das ist die These von Peter Pilz, dem ehemaligen grünen Abgeordneten und Publizisten, der viele Skandale im Land aufgedeckt hat. Dass es um den Umbau der Republik geht. Um den Angriff auf die liberale Demokratie. Vielleicht stimmt das auch. Vielleicht hat das eine auch das andere mitergeben. Der Bub, der da völlig unsicher und unerfahren mit 31 Jahren Bundes­kanzler spielt, völlig hochgejazzt, nicht geeignet, aber in der Öffentlichkeit als Wunder­kind gehandelt. Als Talent beschrieben, niemand, der ihm sagt, Junge, du bist nicht für diesen Job geeignet. Ob er wirklich wie Ungarns Autokrat Orbán oder Polens Premier Kaczyński einen Plan hatte, weiss ich nicht, glaube ich nicht, zumindest nicht in dieser Dramatik. Aber er fummelt im Sicherungs­kasten der Demokratie rum. Und er hat, wenn man in dem Bild bleibt, jetzt einen Schlag bekommen. Wenn du anfängst, im Sicherungs­kasten rumzufummeln, dann kann es passieren, dass die Sicherungen wirken und du einen Kurz­schluss erzeugst. Du fummelst so lange im Sicherungs­kasten rum, bis der Kurz­schluss kommt, und dann ist das Licht aus.

Hinweis: In einer früheren Version hiess es, Sebastian Kurz habe die Presse im Jahr 2019 zu einem Hintergrund­gespräch eingeladen. Korrekt ist, dass es sich um das Jahr 2020 handelt. Wir haben die Stelle korrigiert.

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