Binswanger

Nikab verzweifelt gesucht!

Die Vollverhüllungsinitiative hat gute Chancen, angenommen zu werden. Mit dem Islam hat sie wenig zu tun. Mit der Schweiz leider sehr viel.

Von Daniel Binswanger, 06.02.2021

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Wenn es sich nicht um ein ernstes Thema handeln würde, wäre es einfach nur ein schlechter Witz: Die Schweiz stimmt ab über ein Burkaverbot. Beziehungs­weise, wie es natürlich ganz nüchtern und wertfrei heisst, ein «Verhüllungsverbot», oder, wie sich die Befürworter zu «präzisieren» beeilen, ein Nikab-Verbot. Ein Nikab wird mit viel Glück ja immerhin ein paar Mal pro Jahr auf der Zürcher Bahnhof­strasse oder der Interlakner Seepromenade gesichtet, während wir die Burka ausschliesslich aus «Tagesschau»-Beiträgen über Afghanistan kennen. Die Debatte ist so absurd, dass man sich noch nicht einmal die ausgefeilten Argumentarien der Initiativgegner anhören mag, welche den Rechtsstaat, den Liberalismus, die Religions­freiheit ins Feld führen und natürlich alle völlig richtig sind.

Der Kern der Sache ist von beschämender Schlichtheit: Ein Staats­wesen, das sich hysterisieren lässt und mit harter Hand Probleme löst, die nicht existieren, macht etwas sehr Grund­sätzliches falsch. Und obwohl es fast gar keine zur Schweizer Wohn­bevölkerung zählenden Nikab-Trägerinnen gibt (die solideste Schätzung geht von 20 bis 30 Betroffenen aus) und es insofern auch nur extrem begrenzte Folgen hätte, wenn ein weiterer absurder Artikel die Schweizer Verfassung zieren würde, ist die Überflüssigkeit der ganzen Übung auch der Grund, weshalb diese Abstimmung nicht nur ärgerlich, sondern in höchstem Masse irritierend ist.

Natürlich verhandeln wir mit solchen Vorlagen nicht einfach nur ein Schein­problem, sondern unsere eigene Geschichte, unsere eigene Kultur der religiösen Toleranz und wenn schon nicht die islamische, so doch die Schweizer Identität. Und leider knüpft das Burkaverbot an sehr unerfreuliche Kontinuitäten an.

Zunächst einmal gibt es eine lange Tradition der religiösen Intoleranz in diesem Land, die nicht zuletzt durch die Volksrechte getragen und verstärkt worden ist. Bekanntlich betraf die erste überhaupt je lancierte Volks­initiative das antisemitische Schächt­verbot, das 1893 mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde. Protestanten und Katholiken verbrüderten sich in einem gegen das Judentum gerichteten Pakt. Schliesslich war es die ursprünglich wichtigste Funktion der neuen Volksrechte, die christliche Konfessions­spaltung der Eidgenossenschaft zu entschärfen und für nationalen Zusammen­halt zu sorgen. Ob es auch diesmal wieder zwischen SVP-nahen evangelikalen Sekten und der ihre reaktionären Elemente flattierenden Mitte zum seligen Schulter­schluss kommen wird? Auf Kosten einer «fremden» Religion?

Zudem stiftet das Burkaverbot nicht nur entlang konfessioneller, sondern heute noch viel virulenterer gesellschaftlicher Bruch­linien erstaunliche unheilige Allianzen: Der äusserste, reaktionäre Flügel der national­konservativen Rechten findet sich plötzlich in einer Kampf­gemeinschaft mit einem offensiv laizistischen, antiislamistischen Feminismus. Die Frauen­rechtlerinnen, welche die Initiative befürworten, handeln sicherlich aus ehrenwerten Motiven. Sie sollten sich jedoch sehr ernsthaft die Frage stellen, weshalb sie nun Schulter an Schulter stehen mit dem Egerkinger Komitee.

Dies gilt umso mehr, als die feministischen Argumente – man muss muslimische Frauen davor schützen, zur Vollverschleierung gezwungen zu werden – gut gemeint, aber nicht triftig sind. Die Unterdrückung der Frauen in der islamischen Welt ist ein dramatisches Problem, das gilt sowohl für die islamischen Traditions­gesellschaften als auch für Musliminnen in Europa, die durch ihre Familien oder durch ihr Umfeld unter Druck geraten können. Der Nikab ist in Saudiarabien ein Mittel der Unterdrückung – nicht aber im europäischen Kontext.

Zu diesem Schluss kommen sowohl die beste Schweizer Untersuchung als auch eine kürzlich erschienene französische Studie ganz eindeutig. Nikab-Trägerinnen in Europa sind typischer­weise unabhängige und selbst­bestimmte Frauen, die ihren Fundamentalismus gegen den Willen ihrer Familie praktizieren. Sie gehorchen mit der Vollverschleierung nicht einer Familien­tradition, sondern im Gegenteil, sie affirmieren ihre muslimische Born-again-Identität. Gerade für den Nikab greift also das Argument der Fremd­bestimmung nicht.

Allerdings dürfte die Voll­verschleierung ohnehin nur die erste Runde sein. Worum es den Islamfeindinnen letztlich gehen dürfte, ist das Kopftuch. Das gibt der Debatte diese beklemmende Schiefheit – wie immer, wenn Dinge verhandelt werden, die man nicht klar benennen darf.

Bezeichnend war der Clash in der «Arena» von letzter Woche zwischen der unermüdlichen Verhüllungs­gegnerin Saïda Keller-Messahli und der jungen Berner Muslimin Fathima Ifthikar, die zwar Kopftuch- und nicht Nikab-Trägerin war, aber trotzdem irgendwie die Gegenseite repräsentieren sollte. Warum muss eine Kopftuch­trägerin die Sache des Nikab vertreten? Seit dem tragischen Krebstod von Nora Illi ist die medial verwertbare Schweizer Vollverhüllungs­population offenbar von einer auf null Repräsentantinnen geschrumpft. Immerhin eine Erkenntnis bringt der Abstimmungs­kampf: Nora Illi hinterlässt eine Lücke! Wenn jeweils wenigstens ein Nikab im Studio wäre, würden die ganzen Debatten ein bisschen weniger absurd wirken.

Man wird davon ausgehen können, dass der nächste Schritt nach einer Annahme des Burkaverbots ein weiteres Zurück­drängen des Schleiers wäre. Die Initiativ­befürworter haben ihre Augen nach Frankreich gerichtet, wo im Anschluss an die islamistischen Attentate vom letzten Herbst eine extrem aufgeheizte, kulturkämpferische Stimmung herrscht, das Kopftuch an den Schulen schon seit 2004 und der Nikab im öffentlichen Raum schon seit 2010 verboten ist – und wo jetzt darüber debattiert wird, ob das Kopftuch für Studentinnen an den Hochschulen untersagt werden soll.

Will die Schweiz wirklich den französischen Weg gehen? Man wird schwerlich behaupten können, er sei eine berauschende Erfolgs­geschichte. Nichts könnte der bikonfessionellen, föderalistischen Schweiz fremder sein als der republikanische Erzlaizismus des französischen Zentral­staates. Das ständig bemühte Argument, man müsse den Anfängen wehren, ist heuchlerisch. Worauf es das Egerkinger Komitee angelegt hat, ist vielmehr, den Kultur­kampf mit allen Mitteln anzuheizen.

Eine Schlüsselrolle in dieser traurigen Geschichte spielt die Mitte. Es war aus leidvoller Erfahrung ja eigentlich die historische Rolle der CVP, für konfessionellen Frieden und religiöse Toleranz einzustehen. Als 2009 die Minarettinitiative zur Abstimmung kam, stand die Partei völlig unzweideutig im Gegenlager. Der heutige Konservatismus jedoch will sich von solchen Traditions­beständen ganz bestimmt nicht behindern lassen. Die Pfisters, die Binders segeln hart am populistischen Wind. Wer würde schon die Gelegenheit verschenken, die islam­feindliche Basis ruhigzustellen, wenn man sich dazu eine feministische Pappnase aufsetzen kann?

Jetzt sind wir also so weit, und die Burka-Initiative hat beste Chancen, angenommen zu werden. Man hätte glauben können, mit dem Minarettverbot sei der absolute Tiefpunkt erreicht, aber da geht wohl noch ein bisschen mehr. Die Burkaträgerinnen werden weiterhin reine Diskurs­gespenster bleiben. Aber um unsere eigene Kultur der Religions- und Meinungs­freiheit sollten wir uns ernsthaft Sorgen machen.

Illustration: Alex Solman

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