«Redaktionen, die ihre Leser mit versteckter Werbung täuschen, beschädigen ihre Glaubwürdigkeit»

Medienministerin Simonetta Sommaruga pocht darauf, dass die Verleger journalistische Standards einhalten, wenn der Staat sie unterstützt. Und räumt ein, wie hilflos die Politik im Umgang mit Tech-Giganten wie Google und Facebook ist.

Ein Interview von Dennis Bühler, Bettina Hamilton-Irvine (Text) und Fabian Hugo (Bilder), 29.05.2020

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Vom Gemeinderat in Köniz über den National- und den Ständerat in den Bundesrat, von der höchsten Konsumenten­schützerin des Landes zur Bundes­präsidentin: Simonetta Sommaruga.

Im Büchergestell hinter ihr stehen ein Buch mit Reden Greta Thunbergs und ein in Plastik eingepackter Osterhase. Und eine Auszeichnung, über die sich Simonetta Sommaruga «sehr gefreut» hat, wie sie sagt, als sie die Republik am Montag in ihrem Büro an der Berner Kochergasse empfängt: Im letzten Herbst wurde die Medien­ministerin von der Fach­publikation «Schweizer Journalist» zur «Medien­managerin des Jahres» gekürt. Eine ungewöhnliche Wahl – aber eine mit Symbol­kraft: Denn auch wenn die SP-Bundesrätin bei jeder Gelegenheit betont, sie lege grossen Wert auf die Trennung von Staat und Medien, greift der Bund unter ihrer Führung immer stärker in den Markt ein. Im Juni diskutiert der Ständerat über ein vom Bundesrat konzipiertes Hilfs­paket zugunsten der Medien. Neben einem Ausbau der indirekten Presse­förderung, also der staatlichen Verbilligung der Postzustellung, sieht die Regierung neu auch eine Unter­stützung von Online­medien vor. Im Interview nimmt Sommaruga dazu zum ersten Mal ausführlich Stellung.

Frau Sommaruga, Sie betonen gern, die Schweiz brauche kritische Medien. Sind die Journalistinnen in der Corona-Krise kritisch genug?
Es ist nicht an mir zu beurteilen, ob sie kritisch genug sind. Aber was die Corona-Krise ganz klar gezeigt hat, ist das Bedürfnis der Menschen nach einer Bericht­erstattung, die reflektiert, kritisch nachfragt und ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet. In einer Zeit, in der das Parlament nicht tagt, das sonst die Rolle des kritischen Gegenübers der Regierung einnimmt, spielen die Medien eine noch wichtigere Rolle. Es war offensichtlich, dass die Bevölkerung Medien will, die einordnen und nachhaken.

Trotzdem wünscht sich der Bundesrat während so einer Krise wohl nicht allzu viel Kritik der Medien.
Doch. Die letzten Wochen waren für uns eine ganz besondere Erfahrung. Während einer Pandemie zu versuchen, die Menschen davon zu überzeugen, dass die ergriffenen Massnahmen wichtig sind und von allen umgesetzt werden sollen, das war eine Heraus­forderung für den Bundesrat. Wir hofften, dass die Medien sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind: dass sie zwar kritisch nachfragen, aber gleichzeitig die Bevölkerung nicht gefährden, indem sie behaupten, das bringe alles nichts oder das Virus sei bloss eine Erfindung der Regierung.

Wie gut haben die Medien aus Ihrer Sicht diesen Spagat geschafft?
Sehr gut. Gleichzeitig war ich sehr froh, dass wir eine mediale Vielfalt haben. Dass es verschiedene Tonalitäten gibt, verschiedene Arten, etwas aufzuarbeiten und nachzufragen. Denn wenn eine Vielfalt der Stimmen vorhanden ist, haben die Bürger auch die Möglichkeit, diese gegeneinander abzuwägen.

In den letzten Wochen haben sogenannte alternative Medien viel Aufmerksamkeit erhalten: Medien, die behaupten, im Unter­schied zum Mainstream nicht von Regierungen oder anderen Mächten gelenkt zu werden. Was löst das bei Ihnen aus?
Der professionelle Journalismus, so wie ich ihn verstehe, ist unabhängig. Er hat einen Standard, wie man recherchiert, und einen Standard, wie man transparent macht, woran man sich orientiert und wie man arbeitet. Daneben gibt es Angebote, die keinen ernsthaften journalistischen Anspruch haben und ihre Informationen verbreiten, um Klicks oder Werbung zu generieren oder um an Daten zu gelangen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine journalistische Qualität pflegen und dass die Medien, die dieser Professionalität verpflichtet sind, auch erkennbar sind.

Wie reagieren Sie als Medien­ministerin auf die Tatsache, dass erstaunlich viele Personen in der Schweiz den aktuell kursierenden Verschwörungs­erzählungen glauben?
Eine Medienministerin muss den Leuten nicht sagen, wem sie glauben sollen oder wie sie Informationen zu konsumieren haben. Gerade dafür haben wir die Medien. Sie verbreiten diese teilweise doch sehr wilden Theorien nicht ungefiltert, sondern ordnen sie ein und recherchieren die Hinter­gründe. Das ist wichtig. Denn wenn Behauptungen nicht hinter­fragt werden, kann es sehr schwierig werden.

Reicht es denn, wenn die Medien ihre Verantwortung wahrnehmen, oder muss auch die Politik aktiv werden gegen Fake News?
Diese Diskussion haben wir auch schon vor Corona geführt: Wie weit kann man den sozialen Netzwerken freien Lauf lassen? Es gibt Fragen der Persönlichkeits­verletzung, es gibt die Anti-Rassismus-Strafnorm – diese Grenzen haben wir definiert. Will man weitere Schranken setzen, befindet man sich schnell im Grenz­bereich zwischen Meinungs­freiheit und dem Risiko, eine ganze Debatte zu beherrschen. Ich vertraue darauf, dass die Medien es schaffen, die wichtige Einordnung für die Bevölkerung vorzunehmen. Ich setze mich auch deshalb für eine Stärkung der Medien­vielfalt ein, weil ich überzeugt bin, dass wir unsere Information nicht zweifel­haften Angeboten überlassen dürfen.

Wieso nicht?
Ihr Anspruch ist nicht Journalismus. Sie wollen Daten und Einnahmen generieren. Deshalb ist es mein Anliegen, starke, professionelle, unabhängige Medien zu haben in der Schweiz. Ich will die Rahmen­bedingungen schaffen, damit diese Medien­vielfalt möglich ist.

Die Corona-Krise hat in der Schweiz Bitterkeit und sogar Hass an die Ober­fläche gespült. Wie stark wurden Sie in den letzten drei Monaten angefeindet?
Für Personen wie mich, die in einem exponierten politischen Amt tätig sind, ist das ein permanentes Thema. Es gibt Fälle, bei denen eine Grenze überschritten wird, die strafrechtlich verfolgt werden können. Aber über die Bundesräte geschimpft wurde schon früher am Stamm­tisch. Jetzt hat man einfach andere Möglichkeiten der Verbreitung. Ich würde sagen, dass der Bundesrat auch während der Corona-Krise nicht mehr angefeindet wurde als sonst, wobei die Frauen, glaube ich, generell etwas stärker betroffen sind.

Eine Analyse des «Tages-Anzeigers» hat vor zwei Jahren ergeben, dass Sie die mit Abstand meist­beschimpfte Bundes­rätin sind. Was löst das bei Ihnen aus?
Man muss das in Relation sehen. Schliesslich gibt es auch sehr viele Leute, die mir mit grosser Wertschätzung schreiben. Wie unsere Arbeit in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, hat zudem sehr viel mit den Themen zu tun, für die wir zuständig sind. Gerade als Justiz­ministerin hatte ich mit sehr stark polarisierenden Themen zu tun, vor allem der Migration. Die Polarisierung wird zudem teilweise politisch bewusst gepflegt. Letztlich bin ich im Bundesrat, um fortschrittliche Vorlagen zu erarbeiten, die Mehrheiten finden. Darauf konzentriere ich mich, der Rest ist für mich nicht wichtig.

Sie lassen es an sich abprallen?
Ja.

Ist das auch Ihre Empfehlung, dass jede Person selber mit solchen Anfeindungen klarkommen muss – oder sollen beispiels­weise Online-Redaktionen ihre Kommentar­spalten stärker überwachen müssen?
Die meisten Redaktionen machen das mittlerweile. Wenn man Teil der Landes­regierung ist und sich auch stark exponiert, dann muss man mit Reaktionen umgehen können. Von einzelnen Kommentaren sollte man sich zudem nicht zu sehr beeindrucken lassen: Ich habe mitten in der Flüchtlings­krise ein Asylgesetz vorgelegt, dem 67 Prozent der Bevölkerung zugestimmt haben. Wenn eine Privat­person im Internet beschimpft wird, ist es aber natürlich etwas anderes.

Die Corona-Krise trifft die Schweizer Medien hart: Obwohl ihre Inhalte mehr denn je genutzt werden, sind die Werbe­erlöse in den letzten Wochen komplett eingebrochen. Eine paradoxe Situation.
Dem Bundesrat ist es sehr bewusst, welche enorm wichtige Rolle die Medien während dieser Pandemie wahrgenommen haben. Gleichzeitig befinden sich die Medien schon länger in einer strukturellen Krise. Ihre Einnahmen brechen weg. Ein grosser Teil der Werbe­gelder fliesst zu Google und Facebook, die nichts für den Journalismus und die Demokratie tun.

Facebook und Google zügeln inzwischen mehr als zwei Drittel des Schweizer Werbe­kuchens ins Ausland ab. Warum reguliert der Bundesrat diese Giganten nicht?
Wenn Sie mir ein Land zeigen, das diese Giganten reguliert, werde ich mich dort gerne schlaumachen.

Heisst: Sie würden gerne, können aber nicht?
So ist es. Der Umgang mit diesen Tech-Giganten ist ein globales Problem. Nur schon mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist äusserst schwierig, das weiss ich aus meiner Zeit als Justiz­ministerin. Wir verfolgen sehr genau, was die Europäische Union unternimmt; aber auch sie stösst an ihre Grenzen.

Wieso wollte der Bundesrat die Medien, wenn sie doch so wichtig sind, trotzdem nicht in seine Corona-Rettungs­pläne einbeziehen?
Der Bundesrat war der Meinung, dass die Medien die gleichen Möglichkeiten haben wie andere Unter­nehmen auch, beispiels­weise Kurzarbeit anzumelden oder Notkredite zu beantragen. Zudem soll die ordentliche Vorlage zur Medien­förderung, die von der zuständigen Ständerats­kommission diese Woche zu Ende beraten worden ist, schon im Juni ins Parlament kommen. Ich habe diese sehr gepusht, damit wir den Medien eine nachhaltige Perspektive geben können. Denn während das Notrecht auf sechs Monate befristet ist, wird die ordentliche Vorlage den Medien weit über die aktuelle Situation hinaus helfen.

Weshalb brauchen Medien überhaupt staatliche Unterstützung?
Es ist meine felsenfeste Über­zeugung, dass eine Demokratie nicht funktionieren kann ohne Medien, die kritisch hinschauen. Weil sich die Medien aber in einer schwierigen Situation befinden, ist es für mich klar, dass man eingreifen muss, um die Medien­vielfalt zu garantieren. Es braucht diese Stärkung der Medien jetzt.

Wie bleiben die Medien trotz staatlicher Unter­stützung unabhängig?
Indem man den Redaktionen nicht Geld gibt, um Journalistinnen und Journalisten anzustellen, sondern indem man die Zustellung der Zeitung vergünstigt. Damit bleibt unbehelligt, was in der Zeitung steht.

Und im Onlinebereich?
Dort haben wir versucht, eine Lösung zu schaffen, die sich an die indirekte Presse­förderung im Print­bereich anlehnt. Unter­stützung erhalten Online-Publikationen, die von der Leserschaft für ihre Inhalte Geld bekommen. Indem wir die Unter­stützung an die Publikums­einnahmen knüpfen, also Abo-Erlöse zum Beispiel, nehmen wir ein formales Kriterium, das die Unabhängigkeit der Redaktion wahrt.

So funktioniert die geplante Medienförderung

Am Dienstag beginnt die dreiwöchige Sommer­session des Parlaments. Voraussichtlich wird der Ständerat die Bundesrats­vorschläge zur Medien­förderung am 18. Juni beraten. Doch was will die Regierung überhaupt?

  • Ausbau der indirekten Presse­förderung: Bisher subventioniert der Bund die Post­zustellung der Regional- und Lokal­presse mit 30 Millionen Franken. Neu sollen mit 50 Millionen sämtliche abonnierten Tages- und Wochen­zeitungen unterstützt werden – auch nationale Titel mit einer grösseren Auflage.

  • Förderung von Online­medien: Mit jährlich maximal 30 Millionen Franken will der Bundesrat neu auch Online­medien fördern. Berechtigt ist, wer von seinen Leserinnen Geld einnimmt, sei es durch Abos oder Spenden. Dabei gilt: je mehr Umsatz, desto kleiner der Anteil der staatlichen Unter­stützung. Ein kleines Online­portal wie «Tsüri.ch» dürfte pro im Publikums­markt erzielten Franken wohl mit dem Maximalsatz – 80 Rappen – rechnen; eine umsatz­stärkere Publikation wie die Republik, die sich an die gesamte Deutsch­schweiz und den deutschsprachigen Raum richtet, würde deutlich weniger bekommen.

  • Rahmenbedingungen verbessern: Auch Aus- und Weiterbildungs­institutionen, die Nachrichten­agentur Keystone-SDA und der Presserat sollen unterstützt werden. Geld erhalten sollen zudem IT-Projekte, die der ganzen Branche zur Verfügung stehen – etwa die vom früheren «Watson»-Chefredaktor Hansi Voigt gegründete Open-Source-Plattform WePublish.

Frühere Versuche, die staatliche Medien­förderung auszubauen, scheiterten stets. Nicht selten auch an der Gegen­wehr der grossen Verleger, die die Unabhängigkeit ihrer Redaktionen gefährdet sahen. Doch nun hat der Wind gedreht: Die Verleger setzen sich für den Ausbau der Subventionen ein, und im Parlament stehen die Signale auf Grün.

Die vorberatende Ständerats­kommission will gar noch weiter gehen als der Bundesrat: Am Mittwoch gab sie bekannt, ihren Ratskollegen zusätzliche 50 Millionen Franken für die indirekte Presseförderung zu beantragen. Mit 40 davon soll neu die Früh­zustellung von Zeitungen subventioniert werden.

Das Parlament hat Anfang Mai zudem ein Corona-Notpaket verabschiedet, das vom Bundesrat vor einer Woche konkretisiert worden ist: Während sechs Monaten erhalten private Radio- und TV-Stationen nun insgesamt 30 Millionen Franken. Für die indirekte Presse­förderung sind 12,5 Millionen, für Keystone-SDA 10 Millionen und für Tages- und Wochen­zeitungen 5 Millionen vorgesehen.

Ist das für Sie eine befriedigende Perspektive, dass die meisten Medien aus eigener Kraft nicht mehr überleben können und stark auf staatliche Unter­stützung angewiesen sind?
Die Presse wird in der Schweiz seit 1849 unterstützt. Das ist somit keine neue Entwicklung. Aber klar: Es gab Zeiten, in denen man mit Journalismus besser Geld verdienen konnte. Heute ist das schwieriger geworden. Wenn man die Über­zeugung hat, dass Medien­vielfalt für die Demokratie zentral ist, dann ist es auch klar, dass der Staat Unter­stützung gewähren muss.

Sie haben es angesprochen: Früher konnte man mit Zeitungen viel Geld machen. Ist es fair, wenn die Verluste nun sozialisiert werden, nachdem die Verleger die Gewinne jahrzehnte­lang privatisiert haben?
Aus staatspolitischer Sicht steht für mich die Frage im Zentrum, wie wir in der Schweiz kritische und unabhängige Medien haben können. Welche Rahmen­bedingungen müssen wir schaffen, um Medien­vielfalt zu ermöglichen? Ob ein Verlag vor 30 Jahren Gewinn gemacht hat, ist für den Bundesrat nicht entscheidend.

Die Verleger haben die journalistischen Inhalte im Internet jahrelang kostenlos verschenkt. Sind sie selbst schuld an ihrer Misere?
Es ist nicht meine Aufgabe, den Verlegern zu sagen, was sie in der Vergangenheit falsch gemacht haben. Meine Aufgabe ist es, an den Rahmen­bedingungen zu arbeiten. Und wer heute gute Produkte verkaufen will, muss auch etwas investieren. Der Bund spricht deshalb Geld, damit die Investitionen getätigt werden können, die nötig sind, damit guter Journalismus gemacht werden kann.

Indem Sie die indirekte Medien­förderung von 30 auf 50 Millionen Franken pro Jahr ausbauen und auch Zeitungen mit grösserer Auflage unter­stützen, fliesst mehr Geld in ein System, das längerfristig keine Zukunft hat. Wie sinnvoll ist das?
Wie lange es noch Zeitungen geben wird, wissen wir nicht. Aber Tatsache ist: Es lesen heute immer noch sehr viele Leute Zeitungen. Daher sollen diese auch weiterhin unterstützt werden. Das gilt auch für nationale Zeitungen, die auch wichtig sind für die Demokratie und die es deshalb ebenfalls braucht.

Gleichzeitig stellt sich die Frage: Ist es gerecht­fertigt, dass eine TX Group, die 100 Millionen Franken Gewinn macht, von Förder­geldern profitiert?
Für den Bundesrat ist das entscheidende Kriterium: Wie fördern wir die demokratische Debatte? Ob jetzt jemand noch Dividenden ausschüttet, steht nicht im Zentrum. Und ob das Modell besser ist, bei dem eine Zeitung von einem einzigen Mäzen finanziert wird, sei dahin­gestellt. Mir ist ein Verlags­haus lieber, das zwar Gewinn macht, aber immerhin auch noch in den Journalismus investiert.

Dass die TX Group Ende März Kurzarbeit beantragt hat und wenige Tage später 37 Millionen Dividende an ihre Aktionäre ausschüttet, ärgert Sie nicht?
Glücklicherweise herrscht bei den Verlags­häusern Vielfalt: Es gibt auch solche, die grundsätzlich keine Dividenden ausschütten oder im Moment darauf verzichten. An der Sonder­session hat das Parlament zudem beschlossen, dass nur jene Verlage von der Corona-Nothilfe profitieren sollen, die sich verpflichten, für das Geschäfts­jahr 2020 keine Dividenden auszubezahlen.

Ihre Vorgängerin Doris Leuthard hat die Verleger einmal als «schwierige Kaste» bezeichnet. Teilen Sie ihr Verdikt?
Ich bin wohl noch nicht lange genug Medien­ministerin, um das abschliessend beurteilen zu können.

Wie sind denn Ihre bisherigen Erfahrungen?
Positiv. Wie es in der Schweiz bei der Gesetz­gebung üblich ist, haben wir für die aktuelle Vorlage alle relevanten Kräfte miteinbezogen, darunter auch die Verleger. Sie haben konstruktiv mitgewirkt und begrüssen es, dass der Bund sie bei der Transformation unterstützen will. Zu Recht pochen sie darauf, dass die Medien vom Staat unabhängig sind – auch für mich ist die Unabhängigkeit der vierten Gewalt entscheidend. Deshalb wollen wir den Verlagen auch nicht vorschreiben, welches Geschäfts­modell sie zu verfolgen haben.

Ein wenig versuchen Sie das allerdings schon zu beeinflussen, wenn Sie im Online­bereich ausschliesslich Verlage fördern, die einen Publikums­erlös erzielen. Warum unterstützen Sie kostenlose Portale nicht?
Wir wollten eine Analogie zum Print­bereich schaffen: Die Post stellt ebenfalls bloss abonnierte Zeitungen vergünstigt zu.

Damit benachteiligen Sie das Reich­weiten­modell, das auf Werbe­einnahmen setzt.
Auch dieses Modell hat seine Berechtigung. Bei der Online­förderung geht es uns aber vor allem darum, die Über­lebens­chancen von lokalen und regionalen Angeboten zu vergrössern, für die ein reines Reich­weiten­modell nicht infrage kommt. Vor einem Jahr sah ich bei meiner Bildungs­reise nach Schweden, was geschieht, wenn ganze Regionen zu medialen Wüsten werden. Eine ähnliche Entwicklung können wir uns in der Schweiz, wo in den Kantonen und Gemeinden über wichtige Sachgeschäfte entschieden wird, nicht leisten. Deshalb setzen wir bei der Online­förderung auf ein degressives Modell: Kleinere Anbieter sollen im Verhältnis mehr Unter­stützung erhalten als Grosse. Damit wollen wir dem Abbau der redaktionellen Leistungen und der Zentralisierung der Redaktionen entgegenwirken.

«Den Medien brechen die Einnahmen weg. Ein grosser Teil der Werbe­gelder fliesst zu Google und Facebook, die nichts für den Journalismus und die Demokratie tun.»

Über das Ausmass dieser Degression ist bisher kaum etwas bekannt. Sollen kleine Verlage sehr viel erhalten und grosse sehr wenig?
Klar ist, dass pro Franken, der vom Publikum eingenommen wird, maximal 80 Rappen vom Staat hinzukommen sollen. Die genaue Ausgestaltung der Degression wird erst in einer Verordnung festgeschrieben.

Der degressive Ansatz stellt im Bereich der Medien­förderung eine Neuheit dar.
Das ist so. Aber er macht bereits Schule: Die vorberatende Kommission des Ständerats hat sich vor zwei Wochen einstimmig für die Einführung der Degression im Print­bereich ausgesprochen, ich habe diesen Vorschlag unterstützt. Stimmen National- und Ständerat zu, gilt in Zukunft: Je tiefer die Auflage einer Zeitung oder einer Zeitschrift ist, desto günstiger soll die Post­zustellung sein.

Wenn es nach dem Bundesrat geht, soll «20 Minuten» ohne staatliche Förderung bleiben. Legen Sie dem Parlament eine Anti-«20 Minuten»-Gesetz­gebung vor?
Nein, wir haben kein Gesetz gegen einen Verlag erarbeitet. Vielmehr wollten wir den Verlagen helfen, auch im Internet Einnahmen zu erzielen. Zudem dürfen Sie nicht vergessen: Im Vorschlag des Bundesrats ist auch eine Unter­stützung vorgesehen für Infra­struktur­lösungen im Online­bereich. Davon können alle Internet­angebote profitieren, auch jene, die gratis sind.

Onlinemedien, die staatlich gefördert werden wollen, müssen journalistische Inhalte und Werbung klar trennen. Weshalb sagen Sie Native Advertising den Kampf an?
Dass Werbung klar gekennzeichnet wird, ist für mich zwingender Bestandteil journalistischer Standards. Redaktionen, die ihre Leser mit versteckter Werbung täuschen, beschädigen ihre Glaubwürdigkeit.

Sind Native Ads aus Ihrer Sicht denn ein gravierendes Problem geworden?
Ja. Ich beobachte seit einiger Zeit, dass Verlage redaktionelle Inhalte und Werbung vermischen und höchstens in ganz kleiner Schrift darauf hinweisen, wenn sie für einen Beitrag Geld erhalten. Das widerspricht journalistischen Standards.

Wie weit soll der Staat eingreifen in das Geschäfts­modell der Verleger?
All unsere Anstrengungen gründen auf der Überzeugung, dass Medien für die demokratische Debatte unverzichtbar sind. Umso mehr muss man sich auf ihre Professionalität verlassen können und darauf pochen, dass sie die journalistischen Standards einhalten.

Und wenn die Medien sich darum foutieren? Der Presserat, die branchen­eigene Beschwerde­instanz für medien­ethische Fragen, mahnt seit Jahren vergeblich.
Dann müssen wir Verstösse eben sanktionieren. Wie wir dem Gebot der Trennung zwischen Werbung und journalistischen Inhalten zum Erfolg verhelfen, spielt keine Rolle – wir klären das auf Verordnungs­ebene. Wichtig ist, dass es uns gelingt. Deshalb unterstützen wir in Zukunft auch den Presserat.

Auch die Nachrichtenagentur Keystone-SDA soll unterstützt werden. Deren Verwaltungsrat will nun möglichst viel staatliches Geld und ist dafür bereit, sein Gewinn­streben aufzugeben und zu einem Service-public-Unternehmen zu mutieren. Was halten Sie davon?
Die Nachrichtenagentur bildet das Rückgrat etlicher Redaktionen und ist deshalb enorm wichtig. In den letzten Jahren war die Führung von Keystone-SDA aber nur schwer zu lesen: Niemand wusste, welche Ziele die Eigner verfolgen. Trotzdem hat der Bund die Agentur seit Anfang 2019 mit maximal 2 Millionen Franken pro Jahr unterstützt.

Nun werden es 4 Millionen Franken. Und das Parlament hat Anfang Mai beschlossen, während sechs Monaten allen elektronischen Medien die Abonnements der Keystone-SDA zu übernehmen.
Vom Ausbau dieser staatlichen Förderung müssen direkt die Bezüger des Basis­dienstes profitieren. Es geht uns nämlich nicht darum, das Geschäfts­modell des Unter­nehmens zu stützen, sondern sicher­zustellen, dass es seine für die gesamte Medien­branche wichtigen Leistungen auch in Zukunft erbringen kann.

Können Sie sich vorstellen, dass Keystone-SDA dereinst wie die SRG ausschliesslich dem Service public verpflichtet und hauptsächlich staatlich finanziert sein wird?
Ich weiss, dass es solche Ideen gibt. Da wir uns im Bundesrat aber noch nie mit diesem Szenario befasst haben, kann ich nichts vorweg­nehmen. Klar ist: Die Nachrichten­agentur muss unabhängig bleiben. Ich erwarte vom Verwaltungsrat nun rasch klare Signale, in welche Richtung er sein Unter­nehmen verändern will und ob er sich etwa die Gründung einer Stiftung vorstellen kann. Klarheit haben auch die Mitarbeiterinnen der Agentur verdient, die seit Jahren mit grosser Unsicherheit zu leben haben.

Unsicherheit gibt es auch bei der SRG: In den Jahren 2017 bis 2019 hat sie insgesamt 60 Millionen Werbe­franken weniger eingenommen, im laufenden Jahr wird ein Rückgang im zweistelligen Millionen­bereich befürchtet. Was halten Sie von der Forderung, die SRG müsse werbefrei werden, damit die privaten Verlage den schwindenden Werbe­kuchen für sich allein haben?
Solche Diskussionen sind in der Politik mehrfach geführt wurden. Die Frage ist, ob die Werbe­millionen, die nicht mehr zur SRG gingen, tatsächlich den privaten Schweizer Verlagen zugutekämen – oder ob sie ebenfalls ins Ausland flössen. Dann wäre niemandem geholfen.

Sie klingen skeptisch.
Ja. Gleichzeitig schliesse ich für die Zukunft nichts aus. Im Medien­sektor ist zurzeit so viel in Bewegung, dass sich kaum Vorher­sagen machen lassen.

Der Bundesrat hat der SRG kürzlich 50 Millionen Franken mehr zugesprochen, obwohl Ihre Vorgängerin Doris Leuthard im No-Billag-Abstimmungs­kampf angekündigt hatte, die Gebühren bis mindestens 2022 zu plafonieren. Hat der Bundesrat sein Wort gebrochen?
Nein. Der Bundesrat hat vor der Abstimmung gesagt: Wir plafonieren die Gebühren­einnahmen der SRG bei 1,2 Milliarden Franken, wenn die Werbe­einnahmen stabil bleiben. Ich weiss, dass es Personen gibt, die die zweite Satzhälfte gerne weglassen. Seit der No-Billag-Abstimmung hat sich die Situation aber nicht nur bei den privaten Medien drastisch verschärft, sondern auch bei der SRG.

Gilt bei der SRG das alte Trio-Eugster-Motto «Dörfs es bitzli meh si»?
Überhaupt nicht. Bei der Überprüfung der Höhe der Fernseh- und Radioabgabe erkannten wir, dass 2019 mehr Einnahmen zusammen­gekommen waren als erwartet: Deshalb senkte der Bundesrat die Abgabe ab 2021 für alle Haushalte um 30 Franken. Auch die meisten Betriebe werden dann weniger bezahlen.

Und die zusätzlichen 50 Millionen Franken für die SRG?
Die helfen ihr, einen Teil des Verlustes an Werbe­einnahmen zu kompensieren.

Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft: Wenn das aktuelle Massnahmen­paket im Kasten ist, welches sind danach die wichtigsten Heraus­forderungen, die es im Bereich Medien zu lösen gilt?
Das Parlament hat die Frage einer Verfassungs­grundlage für die direkte Presse­förderung lanciert. Angesichts der grossen Finanzierungs­krise ist sie etwas in den Hinter­grund gerückt, aber sie wird vielleicht erneut aufkommen. Die Transformation wird wohl nicht innert weniger Jahre abgeschlossen sein. Vorerst geht es nun aber einmal darum, eine weiter fortschreitende Medien­konzentration zu verhindern und sicher­zustellen, dass es nicht zu einer medialen Verödung ganzer Regionen kommt.

Zur Person

Simonetta Sommaruga ist seit 2010 Bundesrätin. Bevor die SP-Politikerin Ende 2018 das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation übernahm, stand sie dem Justiz- und Polizei­departement vor. Aktuell ist sie nach 2015 zum zweiten Mal Bundes­präsidentin. National bekannt geworden ist die Bernerin als Präsidentin der Stiftung für Konsumenten­schutz (2000 bis 2010) sowie als Nationalrätin (1999 bis 2003) und Ständerätin (2003 bis 2010). Vor ihrem Einstieg in die Politik bildete sie sich am Konservatorium Luzern zur Pianistin aus. Verheiratet ist sie mit dem Schrift­steller Lukas Hartmann (75). Vor zwei Wochen wurde Sommaruga 60 Jahre alt.

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