Binswanger

Die Leiden der jungen Klima-FDP

Ständerat Ruedi Noser stellt sicher, dass das Parlament vor den Wahlen nicht über die Konzern­verantwortungs­initiative debattiert. Das wirft ein paar Fragen auf.

Von Daniel Binswanger, 05.10.2019

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Es könnte ein böser Scherz sein, den der Teufel selbst sich ausgedacht hat: Man nehme eine Schweizer Bundesrats­partei, die sich mit einer spektakulären Last-minute-Wende im Wahljahr plötzlich als klimafreundlich positionieren will. Man kompliziere die Versuchs­anordnung dadurch, dass ebendiese Partei zur Energie­industrie und zu den Rohstoff­handels­giganten bekannter­massen intime Beziehungen unterhält – Beziehungen, die, sagen wir mal, nicht über jeden Verdacht erhaben sind.

Schliesslich würze man die Sache noch mit etwas Drama: Unmittelbar vor den Parlaments­wahlen kommt dummerweise eine Vorlage in den Ständerat, die die Rohstoff­giganten juristisch in die Pflicht nehmen würde und die deshalb von den ihnen zugewandten Politikern mit allen Tricks verhindert werden soll.

Was tun nun unsere frisch bekehrten Umwelt­politiker? Bleiben sie ihrem Gewissen treu oder doch lieber den klima­belastenden Freunden? Retten sie das zarte Pflänzchen ihrer Öko-Seele – oder fahren sie zur Hölle, dorthin, wo die Treibhausgas­bilanz schon immer raben­schwarz gewesen ist? Leider ist es im richtigen Leben wie in der klassischen Literatur: Erst macht man ein bisschen Spektakel. Und dann gewinnt Mephisto seine Wette.

Sie haben es erraten: Ich rede von Ruedi Noser, von der Glaub­würdigkeit der neuen Klima-FDP, von Glencore und von der Konzern­verantwortungs­initiative. Und davon, dass der Zürcher Ständerats­wahlkampf plötzlich wieder spannend wird.

Ziel: Versenken ohne Rechtfertigungsdruck

Es ist ein selten unverfrorenes Bubenstück, das Noser zustande gebracht hat mit seinem Antrag, den Gegen­vorschlag zur Konzern­verantwortungs­initiative im Ständerat von der Tages­ordnung zu nehmen. Ganz offen­sichtlich ist die offizielle Begründung vorgeschoben: Stattdessen wollen Noser und Konsorten verhindern, dass der Gegen­vorschlag von den Räten gutheissen wird – um ihn nach den Wahlen ganz in Ruhe und fernab störenden Rechtfertigungs­drucks versenken zu können. Möglich gemacht werden soll dies durch einen neuen, zur Unkenntlich­keit verwässerten Gegen­vorschlag zur Initiative, den FDP-Bundes­rätin Karin Keller-Suter mit einem verfahrens­technisch höchst ungewöhnlichen Manöver plötzlich nachliefern will – obschon über den ursprünglichen Gegen­vorschlag nun schon seit Jahren im Parlament debattiert wird.

Offensichtlich handelt es sich hier nicht um eine Einzel­aktion des Glencore-Freundes Noser, sondern um ein konzertiertes Vorgehen der FDP-Spitzen zugunsten des Schweizer Rohstoff­handels. Doch der FDP-Ständerat vermindert damit einerseits seine eigenen Wiederwahl­chancen. Und beschädigt anderer­seits die Gesamt-FDP in der klima­politischen Glaub­würdigkeit, ihrem aller­sensibelsten Punkt.

Daran, dass FDP-Bundesrat Ignazio Cassis weniger wirkt wie der Chef des Aussen­departements als wie ein Handels­vertreter im Aussen­dienst, haben wir uns ja spätestens seit seinem fröhlichen Gelbwesten-Auftritt in den Glencore-Kupferminen in Sambia gewöhnt. Nun leistet auch die FDP-Bundes­rätin ihren Beitrag zur Standort­förderung. Der Rohstoff­handel ist zu einem strategischen Schlüssel­sektor geworden, der mehrere Prozent­punkte des Schweizer BIP generiert. In der Prioritäten­ordnung des Wirtschafts­freisinns scheint er die Nachfolge der Offshore-Vermögens­verwaltung angetreten zu haben. Und wenn die alther­gebrachte Wirtschafts­freundlichkeit mit der brand­neuen Klima­freundlichkeit kollidiert? Dann muss man sich eben etwas einfallen lassen.

Es gibt zwei Ruedi Noser

Wie beispielsweise Ruedi Noser. So gibt es zum einen den Facebook-Noser, der für die FDP-Frauen und die Jung­freisinnigen vor Ort über die Gletscher­initiative referiert und dazu hübsche Fotos mit schnee­bedeckten (!) Alpen­gipfeln postet. Und es gibt zum anderen den Strippenzieher-Noser, der schon seit Jahren in Bern als der verlängerte Arm von Glencore gilt und auch zu Furrer & Hugi, der PR-Agentur von Glencore, privilegierte Beziehungen pflegt.

Kann man glaubwürdig für eine Reduktion der Schweizer CO2-Emissionen kämpfen und gleichzeitig die Interessen des grössten Rohstoff­handels­konzerns der Welt vertreten? Sachlich betrachtet erscheint das, sagen wir mal, gewagt: 2017 hat die Schweiz 47,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente emittiert (ohne internationalen Flug- und Schiffs­verkehr). Immer noch deutlich zu viel. Gemäss dem Global Carbon Disclosure Project hat jedoch Glencore allein – wenn man die Emissionen des Produktions­prozesses zusammen­zählt mit den Treibhaus­gasen, die entstehen, wenn all die schönen fossilen Rohstoffe, die Glencore aus der Erde holt, verbrannt werden – einen Fussabdruck von über 300 Millionen Tonnen (im Jahr 2015).

Im Vergleich zur Umwelt­belastung, die ein einziger in der Schweiz ansässiger Rohstoff­multi generiert, sind die nationalen Emissions­ziele, für welche die FDP sich jetzt so engagiert ins Zeug legen will, nicht mehr als eine Fussnote.

Natürlich will die Konzern­verantwortungs­initiative die multinationalen Akteure nicht nur bei der Klima­politik, sondern auch bei den Menschen­rechten in die Pflicht nehmen. Natürlich liegt es an den Staaten, die regulatorischen Rahmen­bedingungen zur CO2-Reduktion zu definieren, und nicht an den Bergbau- und Handels­firmen. Aber kommt es der Klima­politik zugute, wenn ein Mega­player und notorischer Umwelt­sünder wie Glencore von juristischer Verantwortung entlastet wird? Die Antwort dürfte sich erübrigen. Mit der FDP wird eine global geltende, ökologische Konzern­verantwortung nicht zu haben sein. Oder wenn, dann nur in einer Form, der die Zähne vorsorglich gezogen wurden.

Ein klassischer Fall von Hybris

Letztlich erscheint die Aktion von Noser wie ein klassischer Fall von Hybris. In den Umfragen lag er bisher scheinbar uneinholbar auf dem zweiten Platz, seine Wiederwahl schien gesichert. Doch jetzt könnte sich ein perfect storm zusammen­brauen und alles infrage stellen. Mit Tiana Angelina Moser lauert die perfekte Konkurrentin. Sie hat ein bürgerliches Profil – und ist glaubwürdig grün. Aufgrund ihrer offensiv proeuropäischen Positionierung und ihres Eintretens für das Rahmen­abkommen müsste sie auch für Jositsch-Anhänger attraktiv sein – und da der SP-Ständerat bereits im ersten Wahlgang bestätigt werden dürfte, wird über den zweiten Wahlgang entscheiden, wem seine Wähler ihre Stimme geben. Vor allem aber: Auch die Grün­liberalen sind zwar «wirtschafts­freundlich», aber die Partei ist jung. Bis sie einmal so verfilzt sein wird wie die FDP, dürfte von den Schweizer Gletschern nicht mehr allzu viel übrig sein.

Bisher ist Moser in den Umfragen eher schwächer geblieben, als man es hätte erwarten können. Das dürfte mit dem strategischen Fehler der Grünliberalen zusammenhängen, viel mehr zum Europa- als zum Umwelt­thema kommuniziert zu haben. Bisher fehlte es Moser in der öffentlichen Wahrnehmung an identifizierbarem ökologischem Profil. Dank Ruedi Noser jedoch dürfte sich das auf der Ziel­geraden des Wahl­kampfs noch ändern.

Illustration: Alex Solman

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