Preis der Republik

Volle Härte!

Unser heutiger Preisträger möchte, dass die Ärmsten in der Schweiz besser motiviert werden. Denn auch unterhalb des Minimums ist eine Existenz möglich.

Von der Republik-Jury, 10.01.2019

Volle Härte!
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Sehr geehrter Preisträger

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

Meine Damen und Herren

Den Wert einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht – dieses Zitat stammt vom ehemaligen Bundes­präsidenten Deutschlands Gustav Heinemann. Er nutzte sein hohes Amt im Staat, um sich für die sozial Schwachen einzusetzen.

Das ist anständig, das ist ergreifend, das ist altbewährte soziale Markt­wirtschaft. Es geht aber auch ganz anders. Und deshalb sprechen wir Ihnen, verehrter Herr Professor Christoph A. Schaltegger, diese Woche den wohl­verdienten Preis der Republik zu. Denn Sie setzen sich lieber für die Starken ein. Am liebsten für starke Finanzen.

Sie haben einen erstaunlichen Lebenslauf, allein für diesen sollte man Ihnen einen Preis verleihen. Bis Ende 2007 arbeiteten Sie für den damaligen Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Eidgenössischen Finanz­departement. Sie berieten Herrn Merz in Steuerfragen.

Schwelgen wir kurz in Erinnerungen: Im Februar 2008 wurde die Unternehmens­steuerreform II knapp in einer Volksabstimmung angenommen. Drei Jahre später kritisierte das Bundesgericht den Bundesrat für seine mangelhafte Informations­politik im Vorfeld der Abstimmung. Die Prognosen, um die es dabei ging, stammten aus dem Departement, in dem Sie für Steuerfragen … Aber schweifen wir nicht ab! Es gibt noch so viel zu erzählen.

Nach Ihrer Zeit bei Herrn Merz arbeiteten Sie beim Wirtschafts­dachverband Economie­suisse. Heute sind Sie Professor für Politische Ökonomie an der Universität Luzern – unter anderem. Daneben haben Sie zahlreiche Engagements, wirken mit in Ausschüssen und Kuratorien, Vorständen und Beiräten. Immer für die Sache des Marktes, immer hart am Wind.

Sie sind ein fleissiger Mensch, Herr Professor. Und weil Sie selber so fleissig sind, haben Sie keinerlei Verständnis für Menschen, die es Ihrer Meinung nach nicht sind.

Für Sie tut jeder Mensch genau das, was ihm am meisten Geld bei geringstem Aufwand bringt. Darum sind Ihnen die Sozialhilfe­empfängerinnen natürlich ein Dorn im Ökonomen­auge. Geld erhalten, ohne etwas dafür zu tun? Das widerspricht allem, woran Sie glauben.

Nein, sagen Sie. Nein.

Wirtschaftliche Hilfe für Mittellose darf nicht bedingungslos sein!

Das erklären Sie in Ihrem jüngsten Interview im «Tages-Anzeiger» und in all den Zeitungen, die anders heissen, aber in denen dasselbe drinsteht.

Sie fordern, dass man den Grundbedarf senken muss. Also das, was jemand pro Monat erhält, um damit alle Lebenskosten zu bestreiten, ausser Wohnung und Krankenkasse. 986 Franken, wenn wir von einer allein­stehenden Person sprechen.

Dieser Grundbedarf wurde so angelegt, dass es gerade so geht. Wer den Grundbedarf erhält, hat so viel, wie die Ärmsten in diesem Land zum Leben haben. Mehr nicht. Es reicht. Gerademal.

Doch Sie finden auch das Nötige unnötig und wollen Menschen nötigen, in Not zu leben. Das ist ein spannender Ansatz. Denn: Wer Hunger leidet, ist motivierter bei der Jobsuche.

Ein grosser Teil der Menschen mit Sozialhilfe sind Kinder und Jugendliche. Und ein anderer grosser Teil sind ältere Leute, die kaum Chancen auf dem Jobmarkt haben. Dann gibt es noch die für eine IV-Rente knapp nicht genug behinderten Menschen, die psychisch Kranken, die Drogen­geschädigten. Was solls: Ein Loch mehr im Gürtel, und alles wird gut.

Einspruch? O. k. Sie wollen nicht per se, dass die Menschen verhungern. Aber Sie sagen, man müsse den Grundbedarf erst einmal auf unterhalb des sozialen Existenz­minimums drücken, um ihn dann wieder zu heben, falls das Sozialhilfe empfangende Subjekt anständig kooperiere. Und mit Unmenschlichkeit habe das nichts zu tun!

Denn schon heute könne ja der Grundbedarf zur Bestrafung für gewisse Zeit gekürzt werden, das komme gelegentlich vor. Und die sanktionierten Leute, die verhungerten ja offenbar auch nicht.

Diese tabulose ökonomische Kreativität, Herr Professor, müsste man auf andere staatliche Hoheits­bereiche ausdehnen.

Man könnte zum Beispiel allen Autofahrern Geschwindigkeits­bussen schicken, in der Annahme, dass die meisten sowieso irgendwann innerorts oder ausserorts mal die Nadel über dem Strich auf dem Tacho hatten – Bestrafung der Bürgerinnen als Grund­konfiguration, punktueller Verzicht auf Strafe als individuelle Belohnung. Das wäre mal ein Staat, der effizient mit den Leuten umgeht!

Gut, Herr Professor, Sie haben auch eingeräumt, dass Geld vielleicht nicht der einzige Grund ist, wieso jemand einen Job möchte. Sondern dass es auch um Selbstachtung, soziale Kontakte, um Ansehen gehen könnte. In der Studie, die Sie gemacht haben, würden diese Aspekte aber – ich zitiere – «nur am Rande behandelt». Sie finden in dem Bild, das Sie von sozial schwächeren Menschen haben, einfach keinen Platz.

Dennoch, Herr Schaltegger, Ihre Einseitigkeit ist inspirierend. Eine Prise Menschen­verachtung kann erfrischen wie eine morgendliche kalte Dusche. Denn Wissenschaft braucht nicht nur Menschen, die ihre Materie ergebnis­offen und mit Neugier angehen. Sie braucht auch die Unerschrockenen, die schon am Anfang wissen, was am Schluss heraus­kommen soll. Und ihre akademische Stellung dazu nutzen, eine politische Agenda durchzudrücken.

Eine freundliche Bitte zum Schluss: Wir wären froh, Herr Schaltegger, wenn Sie und Ihre Gäste im Anschluss an diese feierliche Preisverleihung das Buffet ratzeputz leer essen würden. Sonst könnten allfällige Reste an Bedürftige verteilt werden. Stellen Sie sich vor, ein paar belegte Brötchen landen am Ende bei den Leuten in der Not­schlafstelle! Dann haben die schon morgen wieder keine Lust, sich anzustrengen und endlich einen Job zu suchen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Illustration: Doug Chayka

Der Preis der Republik

Er wird jede Woche am Donnerstag verliehen. Für jede Sorte von Leistung. Die miserable. Die mittelmässige. Und natürlich auch die hervorragende. Niemand soll von seinem Erhalt ausgeschlossen werden, niemand verschont bleiben. Über seine Vergabe entscheidet ebenso kompetent wie willkürlich die Republik-Jury.

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